Schule: Unterrichtsmaterialien als Werbeplattform
Lehrmaterialien gibt es viele: Oft sind sie kostenlos, doch leider nicht immer frei von Werbung. Das belegt eine aktuelle Analyse des “Materialkompass..
Didacta 2015: foodwatch fordert kostenfreie Abgabe von staatlich finanziertem Unterrichtsmaterial für Ernährungsbildung an Lehrer und Schulen – Kultusminister müssen Werbematerialien in Schulen verbieten
Berlin/Hannover, 23. Februar 2015 – Vor dem Beginn der Bildungsmesse Didacta am Dienstag in Hannover hat die Verbraucherorganisation foodwatch eine kostenlose Abgabe von staatlich finanzierten Unterrichtsmaterialien an Lehrer und Schulen gefordert. Zwar gebe es für die Ernährungsbildung über alle Klassenstufen hinweg hervorragendes, unabhängig erstelltes Material, beispielsweise von dem von der Bundesregierung finanzierten aid Infodienst. Dies können Lehrer jedoch in der Regel nur gegen Gebühr bestellen – Lebensmittelhersteller und Wirtschaftsverbände geben ihre oft stark werblichen oder interessensgeleiteten Broschüren dagegen kostenfrei ab. Durch die kostenlosen Unterlagen werden schon kleine Kinder in den Schulen direkten oder subtilen Werbe- und Lobbyeinflüssen ausgesetzt.
„Es ist absurd, wenn Ernährungsbildung mithilfe von Schleichwerbung der Lebensmittelindustrie gelehrt wird, weil Lehrer neutrales Unterrichtsmaterial aus eigener Tasche bezahlen sollen. Gerade in der Ernährungsbildung gibt es längst ausgewogenes und vom Steuerzahler bereits finanziertes Material – das ist für Lehrer in der Regel aber kostenpflichtig“, kritisierte Oliver Huizinga, Experte für Lebensmittelmarketing bei foodwatch.
foodwatch forderte die Kultusminister der Länder auf, werbliche bzw. von Lebensmittelunternehmen und -verbänden gesponserte Materialien an ihren Schulen zu verbieten. Bund und Länder müssten zudem eine Lösung dafür finden, dass die staatlich finanzierten Materialien kostenfrei abgegeben werden. Unter www.schule-aktion.foodwatch.de hat foodwatch eine E-Mail-Protestaktion gestartet, mit der jeder die Forderung an die Kultusminister der Bundesländer unterstützen kann. „Erste Stunde Bio mit Ritter Sport, zweite Stunde Kochunterricht mit Dr. Oetker – so darf Schule nicht funktionieren. Mit ihren kostenlosen Lehrmaterialien schleichen sich Unternehmen schamlos in die Klassenzimmer. Die Eltern sind gegen solche Einflüsse machtlos“, so Oliver Huizinga.
Unternehmen und Verbände haben Schulmaterialien als eigene Werbe- und Lobbykanäle erkannt: Ritter Sport bringt den Schülern mit seiner Unterrichtsmappe bei: „Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Schokolade glücklich macht.“ Kellogg’s präsentiert eine ganz neue Ernährungspyramide, in der die Frühstücksflocken des Unternehmens auf eine Stufe mit Brot und Reis gestellt werden – obwohl viele Produkte von Kellogg’s aufgrund des hohen Zuckergehalts von Experten stark kritisiert werden. Kellogg’s empfiehlt das Material sogar „zur Therapie bei übergewichtigen Kindern.“ Ausführliche Beispiele siehe unten.
Eine Analyse des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) hatte 2014 ergeben, dass Unterrichts-Materialien von Wirtschaftsunternehmen nachweislich schlechter sind als die der öffentlichen Hand. Es käme zu verkürzten oder einseitigen Darstellungen, wenn die Herausgeber bestimmte Interessen verfolgen, zudem seien Produkt- und Markenwerbung enthalten. Von 453 untersuchten Materialien erhielten 27 die Note „mangelhaft“. Davon stammten 20 aus der Wirtschaft (74 Prozent).
Mit ihren Werbemaßnahmen an Schulen binden Lebensmittelhersteller schon die kleinsten Kunden an sich und machen ihnen dabei vor allem Süßigkeiten oder Snacks schmackhaft; gleichzeitig wird diese Form der Absatzförderung als „Engagement“ für die Bildung dargestellt, kritisierte foodwatch. „Bildungsprojekte sind für Lebensmittelfirmen nicht mehr als ein Feigenblatt, um von der eigenen Verantwortung für Fehlernährung und Übergewicht bei Kindern abzulenken. Auf der einen Seite versucht die Lebensmittelindustrie mit perfiden Marketingmethoden sogar an Schulen, Kindern möglichst viel Junkfood anzudrehen. Auf der anderen Seite inszenieren sich die Hersteller als verantwortungsvolle Unternehmen, indem sie vermeintlich uneigennützig Ernährungsbildung in der Schule unterstützen“, sagte foodwatch-Experte Oliver Huizinga.
foodwatch hat suggestives Unterrichtsmaterial der Lebensmittelbranche zusammengetragen – einige Beispiele:
Beispiel Ritter Sport
Ritter Sport vertreibt eine Mappe, die etwa für den Biologie- oder Geschichtsunterricht in Grundschulen geeignet sein soll. Schokolade wird darin als „ein Stückchen Energie“ dargestellt, das „schmerzlindernd“ und „gut für Herz und Kreislauf“ sei. „Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Schokolade glücklich macht. Vielleicht hast du ja auch schon davon gehört“, heißt es unter anderem. In den „Hinweisen zur Verwendung“ für Lehrer wird empfohlen: „Hierfür bitte in ausreichender Menge Schokoladenstückchen für die Schüler zur Verfügung stellen, am besten auf Servietten, um das Schmelzen bzw. ‚Schokoladenfinger‘ zu vermeiden.“
Beispiel Brandt
Die Firma Brandt hat für ihre Unterrichtsmappe eigens die Figur „Zwiebra“ entwickelt, die Kindern „viele lustige Spiele zeigen“ soll: „Weißt du, woher mein Name kommt? Richtig! Ich knabbere am liebsten den ganzen Tag Zwieback von Brandt – das gibt ein Zwiebra!“
Beispiel Dr. Oetker
Dr. Oetker lädt beispielsweise mit seiner Unterrichtsmappe „Komm, Back mit!“ Kinder zum gemeinsamen Backen ein, damit „Sozialverhalten, Zahlen- und Mengenverständnis, methodisches Vorgehen und Küchenwissen“ vermittelt werden. Auf den Arbeitsblättern für Erst- und Zweitklässler ist das Marken-Logo aufgedruckt, die abgebildeten Kinder tragen Dr.Oetker-Schürzen, in den Rezeptvorschlägen werden Dr.Oetker-Produkte empfohlen.
Beispiel Kellogg’s
Kellogg’s bietet unter anderem eine Malvorlage „für Kinder zwischen 4 und 6 Jahren“ an, bei der eine Ernährungspyramide ausgemalt werden soll. Mit dabei auf einer Stufe mit Brot, Nudeln oder Reis: Eine Schüssel Kellogg’s Cerealien. Der Hersteller empfiehlt die Malvorlage „für die allgemeine Ernährungserziehung sowie begleitend zur Therapie bei übergewichtigen Kindern.“ Dabei enthalten Kinderprodukte des Herstellers im Mittel 32 Gramm Zucker pro 100 Gramm, wie ein Marktcheck von foodwatch in 2012 ergab.
Beispiel Lobbyverband BLL
Auch der Lobbyverband BLL (Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde) ist in Schulen aktiv; unter anderem mit der Broschüre „Mit Sicherheit lecker“, die helfen soll, „mit sachlichen Informationen zum Abbau von Ängsten im Bereich der Lebensmittel-Verarbeitung beizutragen“. Unter der Überschrift „Immer up to date: unsere Lebensmittelsicherheit“ heißt es dort: „Durch (…) wissenschaftliche Entwicklungen sind unsere Lebensmittel immer sicher. Neue Erkenntnisse werden zudem zügig in die Praxis umgesetzt. Die Lebensmittelunternehmen entwickeln immer neue Produktionstechniken, damit unsere Lebensmittel immer die beste Qualität haben.“ Die Broschüre soll nun laut BLL überarbeitet werden.
Link:
E-Mail-Protestaktion von foodwatch gegen Schleichwerbung in der Schule
www.schule-aktion.foodwatch.de
Quelle: foodwatch
Internet: www.foodwatch.de
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