Warum wir uns nicht selbst kitzeln können
Warum können wir uns nicht selbst kitzeln? Warum nehmen wir unsere eigenen Schritte anders wahr als die eines Fremden, der hinter uns läuft? Ein Forschungsteam der Universitäten Gießen und Marburg aus den Bereichen Psychologie, Psychiatrie und Neurowissenschaften hat ein mathematisches Modell entwickelt, das erklärt, warum unsere Wahrnehmung bei selbst erzeugten Bewegungen abgeschwächt reagiert. Das Modell wurde durch Experimente bestätigt.
Die sensorische Abschwächung (SA) spielt eine entscheidende Rolle in unserem Verständnis von Eigen- und Fremdwahrnehmung. Das Gehirn wägt ständig ab, ob sensorische Informationen aus einer internen oder externen Quelle stammen. Kommt das Geräusch oder die Berührung von mir selbst, von einem Freund oder von einem Fremden? Wenn wir uns selbst bewegen, ist für unser Gehirn vorhersehbar, dass dadurch ein Wahrnehmungsreiz entstehen wird. Das Gehirn stuft den Reiz dann als „intern“ ein und reguliert ihn in der weiteren Verarbeitung herunter. „Dies erklärt, warum wir uns nicht selbst kitzeln können oder warum wir in einer dunklen Straße den Schritten einer fremden Person mehr Aufmerksamkeit schenken als unseren eigenen“, erläutert die Marburger Psychologin Dr. Anna-Lena Eckert.
Diese sensorische Abschwächung könnte auch erklären, warum manche Menschen mit psychischen Erkrankungen Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Handlungen korrekt zuzuordnen. Insbesondere bei Schizophrenie könnte eine veränderte sensorische Abschwächung dazu beitragen, dass Betroffene das Gefühl haben, fremdgesteuert zu sein oder ihre eigenen Bewegungen nicht als selbst verursacht wahrnehmen. Hier könnten neue diagnostische und therapeutische Ansätze entwickelt werden.
Kitzlig sein: ein Phänomen – bei Mensch und Tier
Das Phänomen der Kitzligkeit beschäftigt die Menschen schon lange. Bereits Aristoteles (384 – 322 v. Chr.) hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Eine Studie der Humboldt-Universität Berlin aus dem Jahr 2019 hat die Mechanismen der Kitzligkeit im Gehirn der Ratte untersucht. Sie fanden heraus, dass bei der Ratte das „Lachen“ – das sind Laute im Ultraschallbereich – während einer Selbstberührung, wie etwa dem Putzen, unterdrückt wurde. Ebenso unterdrückt wurde dann auch die Aktivität des somatosensorischen Kortex (das ist ein Bereich der Großhirnrinde, der die Wahrnehmung von Berührungen verarbeitet). Wurden die Versuchstiere jedoch von den Forschenden gekitzelt, verstärkten sich diese Reaktionen. Gekitzelt werden ist manchmal lustig, kann aber auch unerträglich werden. Diese Ambivalenz in Bezug auf das Kitzeln wird von Ratten und Menschen gleichermaßen gezeigt.
Quellen:
• https://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/2025/psy2025-1
• Originalpublikation: Anna-Lena Eckert et al, Modelling sensory attenuation as Bayesian causal inference across two datasets (2024), PLOS ONE, DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0317924
• https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/archiv/september-2019/nr-19926
• Originalpublikation: Ishiyama S., Kaufmann, L.V. & Brecht M., Behavioral and cortical correlates of selfsuppression, anticipation and ambivalence in rat tickling. Current Biology. 2019; 29; https://doi.org/10.1016/j.cub.2019.07.085
Quelle: Deutsches Grünes Kreuz e.V.