Stiftung Kindergesundheit informiert über die aktuellen Empfehlungen zur Allergieprävention
Mehr als zwei Millionen Kinder in Deutschland leiden unter Heuschnupfen, allergischem Asthma, Neurodermitis oder einer Allergie gegen Nahrungsmittel. Wie können wir unserem Kind diese allergischen Erkrankungen ersparen? – so fragen sich viele werdende Mütter und frischgebackene Elternpaare. Die Antworten der Medizin auf diese Frage haben sich in den letzten Jahren grundlegend geändert, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme. Auch in der Vorbeugung gegen Allergien ereignet sich nämlich eine Art Zeitenwende. Der Leitsatz heißt heute: Weniger Karenz, dafür mehr Toleranz.
Lange ging man davon aus, dass die wirkungsvollste Maßnahme, Allergien zu verhindern, die Karenz, also Vermeidung sei: In Familien, in denen ein Allergierisiko besteht, sollten potenzielle Allergene wie Hausstaub und Pollen, Eier, Fisch, Nüsse und Tierhaare während der Schwangerschaft und der Stillzeit und auch im frühen Kindesalter möglichst gemieden werden. Im Babyhaushalt sollte unnachgiebig auf Hygiene geachtet, nicht voll gestillte Babys aus Allergikerfamilien mit einer hypoallergenen (HA) Nahrung gefüttert werden.
Die Kinder sollten außerdem möglichst spät Beikost wie Gemüse, Obst, Getreide und Nudeln zugefüttert bekommen und es wurde gewarnt: Allergenreiche Nahrungsmittel wie Milch, Eier und Fisch sollte das Kind frühestens im Alter von neun bis zwölf Monaten bekommen. Das Kinderzimmer sollte mit einer neuen Matratze und eventuell mit einem milbendichten, allergenfilternden Matratzenbezug (Encasing) milbenfrei gehalten, Haustiere unbedingt abgeschafft werden.
Dieses zentrale Prinzip der Allergenmeidung erwies sich zunehmend als eine Sackgasse, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. So habe es mittlerweile einen Paradigmenwechsel gegeben, der einen kompletten Abgesang auf die früher vertretenen Überzeugungen bedeute.
„Es wurde immer deutlicher, dass Verzögern und Vermeiden von Lebensmitteln mit allergenem Potential das Immunsystem von Kindern in eine falsche Richtung programmieren kann“, erläutert Professor Dr. Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Gesundheit. „Ein früher Kontakt zu den vielfältigen Mikroben und Allergenen der Umwelt dagegen mobilisiert die Abwehrkräfte und führt so zu einer normalen Immunantwort und zum Aufbau einer Toleranz gegen Umweltantigene. Fehlen solche Reize, dann ist das Immunsystem gewissermaßen ‚unterbeschäftigt‘ und sucht sich seine Feinde selbst, um sie dann mit unerwünschten, allergischen Immunantworten zu bekämpfen“.
Und so kommt es, dass die heutigen Empfehlungen zur Verhütung von Allergien immer mehr zu regelrechten Auflistungen werden, was alles von den bisherigen Ratschlägen ein Kind nicht vor Allergien schützen kann.
Statt Vermeidung wird heute eher zur Gewöhnung geraten, mit dem Fachwort „Toleranzinduktion“: Je früher und vielfältiger ein Kontakt mit potenziell Allergie auslösenden Stoffen entsteht, desto leichter lernt das Immunsystem den Umgang mit ihnen.
Aktuelle Studien und Leitlinien zur Allergieprävention zeigen exemplarisch den Meinungsumschwung der Wissenschaft. Die Stiftung Kindergesundheit nennt einige wichtige Beispiele:
Ganz und gar nicht. Für den Nutzen von Essenseinschränkungen während der Schwangerschaft und in der Stillzeit gibt es keine Belege: „Schwangere sollten sich nach Lust und Laune, freilich möglichst ausgewogen und abwechslungsreich ernähren“, empfiehlt Professor Dr. Berthold Koletzko. „Spezielle Lebensmittel sind in aller Regel nicht notwendig. Schwangere sollten stattdessen auf eine mannigfaltige und nährstoffdeckende Ernährung in Schwangerschaft, Stillzeit und im ersten Lebensjahr achten. Auch Fischmahlzeiten sind empfehlenswert“.
In den ersten sechs Monaten sollte das Kind gestillt werden – für die Dauer von mindesten vier Monaten ausschließlich. Das gilt für Kinder mit erhöhtem Allergierisiko ebenso wie für alle anderen Babys. Auch nach der Einführung von Beikost sollte weitergestillt werden, betont Professor Koletzko. Kann nicht mehr oder nicht ausreichend gestillt werden, kann das Kind eine handelsübliche Säuglingsanfangsnahrung bekommen. Säuglingsnahrungen mit aufgespaltenem oder hydrolysierten Milcheiweiß (sogenannte HA-Nahrung) werden als sicher bewertet und von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin als eine mögliche Option bewertet. Sojanahrung, Ziegenmilch oder Getreidedrinks sind zur Allergievorbeugung nicht geeignet.
Ein Beginn der Beikostfütterung auch mit Gabe von Lebensmitteln mit hohem allergenen Potential im Alterszeitraum zwischen etwa vier und sechs Monaten reduziert das Allergierisiko im Vergleich zu einem späteren Beikostbeginn mit sechs Monaten. Die neue europäische Leitline zur Allergieprävention bezeichnet das Alterszeitfenster von vier bis sechs Monaten für die Beikosteeinführung als den effektivesten Zeitraum für die Senkung des Allergierisikos.
Auch für diese Kinder gelten die gleichen Empfehlungen wie für alle anderen Kinder ohne Allergiebelastung. Sie sollten ab dem vollendeten vierten Lebensmonat möglichst zügig eine vielseitige Kost kennenlernen, am besten alles, was in ihrer Familie gegessen wird. Eine Einschränkung gibt es allerdings bei Eiern: Zur Prävention einer Allergie gegen Hühnereiweiss wird die regelmässige Gabe von durcherhitztem Hühnerei ab dem fünften Lebensmonat (also im Alter von vier abgeschlossenen Monaten) mit der Einführung der Beikost empfohlen. Das heißt: Eier für das Kind nur in verbackener Form oder hart gekocht, aber kein rohes Ei und auch kein Rührei.
Haustiere gelten nicht mehr als Allergierisiko. Kinder, die in den ersten drei Lebensjahren mit Hunden aufwachsen, entwickeln sogar seltener Allergien und Asthma als Kinder ohne Hunde. Für die Abschaffung bereits vorhandener Hunde und Katzen aus Gründen der Allergievermeidung besteht also kein Grund. Eine Einschränkung ist allerdings auch bei dieser Frage geblieben: Wenn in einer Familie hohes Allergierisiko besteht oder das Kind bereits unter einem atopischen Ekzem (Neurodermitis) leidet, sollte keine Katze neu angeschafft werden.
Die Verwendung milbenallergendichter Matratzenüberzüge (Encasings) ist nur dann nützlich, wenn jemand in der Familie bereits unter einer nachgewiesenen Allergie gegen Hausstaubmilben leidet.
Kinder gehören nicht unter die Käseglocke, betont die Stiftung Kindergesundheit. Mehrere Studien unterstützen die sogenannte Hygienehypothese, auch Bauernhof- oder Urwaldhypothese genannt. Sie beruht auf der Beobachtung, dass Allergien vor allem unter Stadtbewohnern zunehmen. Zudem hat sich herausgestellt, dass Bauernkinder mit Zugang zum Stall und zu Tieren deutlich seltener an Asthma, Heuschnupfen oder anderen Allergien erkranken als Kinder, die nicht auf einem Bauernhof leben.
Der vermutliche Grund: Sie haben von Anfang an mehr Kontakt zu Kühen und anderen Tieren und den sie besiedelnden Bakterien und anderen Mikroorganismen.
Eine frühe Einführung von Beikost schadet nicht, sondern bringt sogar einen Nutzen. Empfehlenswert ist die zügige Einführung einer vielfältigen Kost ab dem vollendeten vierten Lebensmonat. „Die Einführung von Beikost bedeutet aber nicht Abstillen, sondern das weitere Stillen mit der Beikostgabe“, so Professor Koletzko: „Auch Babys, die schon Brei- und Löffelkost bekommen, sollten so lange weiter gestillt werden, wie Mutter und Kind es möchten“.
Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder, die durch Kaiserschnitt zur Welt kommen, ein erhöhtes Allergierisiko haben, weil ihnen der Kontakt zu den Keimen der Mutter fehlt. Dies ist weiteres Argument, einen Kaiserschnitt nur dann durchzuführen, wenn wirklich eine medizinische Notwendigkeit dazu besteht. Auch bei Babys, die schon früh mit Antibiotika behandelt werden müssen, ist das Risiko erhöht, so dass Kinder- und Jugendärzt*innen heute genau abwägen, wann wirklich Antibiotika notwendig sind. Ob unter bestimmten Bedingungen die prophylaktische Einnahme von sogenannten Probiotika oder Präbiotika sinnvoll sein könnte, wird zurzeit intensiv untersucht und diskutiert. Für generelle Empfehlungen ist es jedoch noch zu früh, betont die Stiftung Kindergesundheit.
Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: www.kindergesundheit.de
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