Strom oder Gas aus einem anderen EU-Land – die Lösung vieler Probleme?
Die drastisch steigenden Energiepreise sind eine Belastung für alle Haushalte. Findige Verbraucherinnen und Verbraucher fragen sich deshalb, ob der günstigere Strom aus einem der vielen Nachbarländer Deutschlands eine Lösung sein könnte.
Dank der Europäischen Union und des Binnenmarktes kann man problemlos eine Kaffeemaschine in Italien kaufen, ohne weiter darüber nachdenken zu müssen. Doch leider ist die Versorgung mit grenzüberschreitender Energie komplizierter als die mit Heißgetränken.
Ein Blick nach Frankreich
Die französischen Gas- und Strompreise gehören EU-weit zu den niedrigsten. Ein Grund dafür ist, dass Frankreich den staatlichen Energieversorger EDF gezwungen hat, den Anstieg der Großhandelspreise für Strom auf 4 % pro Jahr zu begrenzen.
Dies führt dazu, dass Strom in Frankreich aktuell fast die Hälfte günstiger ist als hierzulande.
So zahlten Französinnen und Franzosen im August 2022 durchschnittlich nur 23,02 Cent pro kWh, wohingegen Deutsche im gleichen Zeitraum um die 40,11 Cent pro kWh hinblättern mussten.
Grundsatz der freien Wahl des Energieversorgers
Grundsätzlich können deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Energielieferanten frei wählen. Dieser kann auch aus dem europäischen Ausland kommen. Voraussetzung ist aber, dass der Lieferant registriert ist, an den Wohnort Energie liefert und einem Vertragsabschluss mit dem Antragsteller oder der Antragstellerin zustimmt.
In der Praxis stellt dies die höchste Hürde dar. Denn es ist fast unmöglich, einen Energielieferanten zu finden, der bereit ist, Strom aus dem EU-Ausland nach Deutschland zu liefern.
Bürokratische Hürden
Bevor Strom aus dem EU-Ausland bezogen werden kann, sind einige bürokratische Hindernisse zu nehmen. So muss der Kunde oder die Kundin die Erlaubnis des zuständigen Hauptzollamts einholen. Diese kann schriftlich mit dem Formular 1410 beantragt werden.
Zuständig ist das Hauptzollamt des Wohnortes an dem der Strom bezogen werden soll. Auf der folgenden Webseite kann das richtige Hauptzollamt mittels Eingabe der Postleitzahl einfach ermittelt werden: Zoll online – Dienststellensuche – Weitere Zuständigkeiten der Hauptzollämter – Ortsauswahl.
Auch auf Seiten der Unternehmen entstehen zusätzliche Verwaltungshürden. Die ausländischen Stromanbieter müssen sich für die Vertragsgestaltung und Rechnungsstellung an deutsches Recht halten, wenn der Strom nach Deutschland geliefert werden soll.
Unterschied: Stromversorger und Netzbetreiber
Der Stromversorger liefert den Strom an den Netzbetreiber. Der Netzbetreiber betreibt das Stromnetz und sorgt dafür, dass der Strom in den Haushalten ankommt.
Verbraucherinnen und Verbraucher können den Stromversorger wechseln, den Netzbetreiber jedoch nicht.
Zusätzlicher Aufwand und Kosten
Wenn Strom aus dem EU-Ausland bezogen wird, gelten die deutschen rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Energielieferungen unterliegen also den deutschen Steuern, Umlagen, Abgaben und dem Netzentgelt.
Bezieht man den Strom von einem Lieferanten im Inland sind diese Kosten bereits im Endpreis inbegriffen. Bei einem ausländischen Stromversorger sind diese Kosten von den Endverbraucherinnen und Endverbrauchern zuzüglich zum Strompreis zu bezahlen und auch selbständig an die zuständige Stelle abzuführen. Inländische Anbieter übernehmen das für ihre Kunden.
Es wäre also falsch, nur auf die Endpreise im EU-Ausland zu schauen. Denn vermeintlich günstiger Strom aus dem EU-Ausland kann sich plötzlich als ziemlich teuer erweisen.
Zusätzlich zu den Kosten haben Endverbraucherinnen und -verbraucher weitere Pflichten, die sonst der Stromversorger übernimmt. Hierzu zählen Aufbewahrungs-, Aufzeichnungs- und Mitteilungspflichten.
So müssen zum Beispiel die vom Versorger bezogenen Strommengen genau aufgezeichnet und über ein Formular regelmäßig und fristgerecht an das Hauptzollamt weitergeleitet werden.
Fazit
„Es ist theoretisch möglich, Strom aus dem EU-Ausland zu beziehen. Doch selbst wer tatsächlich einen Lieferanten findet, der Strom aus dem EU-Ausland nach Deutschland liefert, sollte sich fragen, ob der hohe Verwaltungsaufwand und die zusätzlichen Kosten sich am Ende lohnen. Es ist und bleibt ein Rechenexempel“, sagt Madeline Schillinger, Juristin beim Europäischen Verbraucherzentrum Deutschland.
Quelle: Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz e. V. / Europäisches Verbraucherzentrum Deutschland
Internet: www.cec-zev.eu / www.evz.de