Die Muttermilch bleibt unnachahmlich – Schluss mit der idealisierenden Bewerbung von Babynahrung!
Die Stiftung Kindergesundheit fordert: Schluss mit der idealisierenden Bewerbung von Babynahrung!
Die Muttermilch ist eine einzigartige Flüssigkeit: Sie ist ein hervorragendes Nahrungsmittel und bestens verdaulich. Stillen wirkt wie eine erste Impfung für das Kind und schützt es so vor vielen ansteckenden und chronischen Krankheiten, und verringert das Risiko für den plötzlichen Kindstod SIDS und für Fettsucht. Außerdem treten bei stillenden Frauen später seltener Diabetes, Fettleibigkeit und einige Krebsarten auf. So erweist sich Stillen als ein wahres „Wundermittel“ für die Gesundheit eines Babys und seiner Mutter, betont die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.
Es gibt allerdings ein Problem: Während die Stillraten in den letzten Jahrzehnten nur geringfügig gestiegen sind, hat sich der weltweite Absatz von künstlicher Säuglingsnahrung in etwa der gleichen Zeit mehr als verdoppelt, bedauert die Stiftung Kindergesundheit. Ein Grund dafür liege in den oft irreführenden Marketingmaßnahmen vieler Hersteller von Säuglingsnahrungen. Sie können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Eltern sich für eine Fläschchennahrung entscheiden anstatt ihr Neugeborenes an der Brust zu ernähren.
Um diesen Risiken entgegenzuwirken, versucht die Weltgesundheitsorganisation WHO schon seit langem, die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten mit einem internationalen Kodex zu reglementieren. Dieser „WHO-Index“ ist bereits seit 1981 in Kraft, um Eltern und Säuglinge vor unangemessenen Marketingpraktiken der Babynahrungsindustrie zu schützen.
Aggressive Werbung für Milchpulver beenden!
Die WHO wirft Herstellern von Babynahrung eine aggressive Vermarktung vor, die gezielt Schwangere und junge Mütter adressiert und sie verunsichern kann. Auch wenn alle Babynahrungshersteller behaupten, den Kodex weltweit zu respektieren, werden immer wieder Verstöße bekannt, mit denen bei der Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten die Entscheidungen der Eltern bei der Ernährung ihrer Babys beeinflusst werden können, beklagt auch die in München beheimatete Stiftung Kindergesundheit.
„Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung sehen wir es als unsere Pflicht an, die breite Öffentlichkeit in Sachen Kindergesundheit und Kinderernährung aufzuklären“, unterstreicht Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Deshalb gehört die Förderung des Stillens seit ihrer Gründung vor 25 Jahren zu den besonders wichtigen Zielen der Stiftung Kindergesundheit“.
Unlautere Praktiken zur Umsatzsteigerung
Aus aktuellem Anlass verweist die Stiftung Kindergesundheit insbesondere auf die Praktiken der Hersteller bei der Vermarktung von Babynahrung, die mit synthetischen Oligosacchariden angereichert wird. Die Produkte werden irreführenderweise mit der Qualität von Muttermilch verglichen, obwohl durch den Zusatz einzelner Oligosaccharide keine Ähnlichkeit mit der komplizierten Zusammensetzung der Muttermilch erreicht werden kann.
„Die menschliche Muttermilch enthält als verdauliches Kohlenhydrat Lactose sowie als unverdauliche Kohlenhydrate mehr als 150 unterschiedliche humane Oligosaccharide, die als HMO abgekürzt werden“ erläutert Professor Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitätskinderklinik München. „Diese biologisch aktiven Substanzen fördern die Vermehrung von nützlichen Bakterien im Darm des Kindes und tragen so maßgeblich zur Ansiedlung der sogenannten Darmmikrobiota, also von gesundheitsfördernden Bakterien, Pilzen und Viren im Darm des Kindes bei“.
Die gesunde Darmmikrobiota unterstützt das Immunsystem, stärkt die Darmbarriere und schützt vor Krankheitserregern und potenziellen Allergenen, wehrt gesundheitsschädliche Keime ab und beugt Verdauungsproblemen vor. Die Milch von Kühen, Schafen oder Ziegen weist allerdings im Vergleich zu menschlicher Muttermilch 100- bis 1000-fach geringere Konzentrationen an HMO auf, „ein weiterer Beweis für die einzigartige Rolle der menschlichen Muttermilch für die Ernährung von Babys“, so Professor Koletzko.
Seit kurzem können einige der einfachen HMO mithilfe biotechnologischer Verfahren auch synthetisch hergestellt werden und sind in den USA und Europa bereits für den Einsatz in Muttermilchersatznahrungen zugelassen. Ihre Vermarktung ist im vollen Gange: Ein dänischer Hersteller von HMOs schätzt ihr langfristiges Marktpotential auf über eine Milliarde Euro! Können aber mit HMOs die wertvollen Eigenschaften der Muttermilch tatsächlich naturgetreu nachgebildet werden?
Kommission warnt vor Verbrauchertäuschung
Eine aktuell veröffentlichte Stellungnahme einer hochkarätigen wissenschaftlichen Kommission dämpft die Erwartungen. Die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin DGKJ sichtete dazu 53 aktuell vorliegende wissenschaftliche Studien und Richtlinien und kommt zu folgenden Ergebnissen:
- Derzeit kann die personalisierte Komplexität der Oligosaccharide in Frauenmilch in Säuglingsnahrungen nicht nachgeahmt werden.
- Hersteller von mit synthetischen Oligosacchariden angereicherten Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen suggerieren in der Vermarktung über Packungen, Internetseiten, gesponsorte Blogs und Zeitschriftenartikel u.a. eine größere Ähnlichkeit mit dem Stillen durch die Verwendung von Begriffen wie „Muttermilch-Oligosaccharide“ oder „Human Milch-Oligosaccharide“ („HMO“). Die Verwendung dieser Begrifflichkeit suggeriert Verbraucher:innen, dass eine Ähnlichkeit der Oligosaccharidzusammensetzung in Säuglingsnahrungen mit denen der menschlichen Milch gegeben sei. Dies ist sachlich falsch und kann zu einer Verbrauchertäuschung führen, denn der Zusatz von einzelnen einfachen und kurzkettigen Oligosacchariden führt nicht zu einer Ähnlichkeit mit der komplexen Zusammensetzung von hunderten kurz- und langkettigen Oligosacchariden in menschlicher Milch.
- Eine bevorzugte Verwendung von Säuglingsnahrungen mit synthetischen Oligosaccharid-Zusätzen wird deshalb auf der Basis der derzeitigen Datenlage nicht empfohlen.
- Die Verwendung von Begriffen wie „Humane Milch-Oligosaccharide“ und darauf verweisende Abkürzungen wie „HMO“ bei der Bewerbung von Säuglingsnahrung stellen eine unzulässige Idealisierung dar, die der Gesetzgebung der Europäischen Union widerspricht. So kann eine nicht bestehende Ähnlichkeit mit dem Stillen suggeriert und damit der Priorität der Förderung des Stillens entgegenwirkt werden.
- Die Ernährungskommission fordert die Hersteller von Säuglingsnahrungen dazu auf, die derzeitige inakzeptable idealisierende Bewerbung von Säuglingsnahrungen zu beenden. Sie fordert die Überwachungsbehörden auf, mögliche Verstöße gegen die bestehenden rechtlichen Beschränkungen zur Bewerbung von Säuglingsnahrungen zu unterbinden.
- Kinder- und Jugendärzt:innen sollten Familien informieren, dass die synthetischen Oligosaccharide in angereicherten Säuglingsnahrungen nicht der komplexen Oligosaccharid-Zusammensetzung in der Frauenmilch entsprechen.
Die Erkenntnisse der DGKJ-Kommission sind im internationalen Fachjournal Molecular and Cellular Pediatrics (2022; 9:14) veröffentlicht worden. Im Internet unter: https://doi.org/10.1186/