Welt-Diabetestag am 14. November 2021 – Kinder mit Diabetes: Feuerprobe für Familien und Betreuer
Wichtige Informationen der Stiftung Kindergesundheit zum Welt-Diabetestag am 14. November 2021
Beim Stichwort Zuckerkrankheit denken die meisten Menschen zuerst an ältere Personen. Aus verständlichen Gründen: Der größte Teil der 4,6 Millionen Menschen mit einer Zuckerkrankheit in Deutschland hat einen Diabetes mellitus des Typs 2, der mit steigendem Alter häufiger vorkommt und deshalb oft als Altersdiabetes bezeichnet wird. Bei Kindern und Jugendlichen, bei denen ein Diabetes diagnostiziert wird, handelt es sich jedoch in der überwiegenden Mehrzahl um eine Erkrankung an Diabetes des Typs 1: Nach den aktuellen Angaben der Stiftung Kindergesundheit leben zurzeit etwa 30.400 Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes. Und es werden immer mehr: Jedes Jahr erkranken hierzulande rund 2.300 Kinder neu an Diabetes des Typs 1, manche bereits im Babyalter.
„Damit gehört die Zuckerkrankheit zu den häufigsten Stoffwechselerkrankungen im Kindesalter“, sagt Kinder- und Jugendärztin Professor Dr. med. Susanne Bechtold-Dalla Pozza, Leiterin des Fachbereichs Pädiatrische Diabetologie und Endokrinologie am Sozialpädiatrischen Zentrum der Universitätskinderklinik München. „Die Zahl der Neuerkrankungen steigt weltweit dramatisch an. Besonders der Anteil jüngerer Kinder wird immer größer“.
Der Typ-1-Diabetes (T1D) ist eine Autoimmunerkrankung, die sich schleichend entwickelt, erläutert die Stiftung Kindergesundheit in ihrer aktuellen Stellungnahme. Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes greift das körpereigene Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen in den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse an und zerstört sie. Die Ursachen liegen in einer komplizierten Kombination aus erblichen Anlagen und einigen Umweltfaktoren.
Erste Symptome: großer Durst und öfter Pipi
„Die Krankheit wird oftmals erst erkannt, wenn bereits schwerwiegende Symptome vorliegen“, berichtet Prof. Dr. Susanne Bechtold-Dalla Pozza: „Erst wenn etwa 80 Prozent der Zellen geschädigt sind, treten die ersten Symptome auf: Das kranke Kind hat großen Durst, muss immer wieder Wasser lassen, verliert an Gewicht und ermüdet schnell. Es benötigt das lebensnotwendige Insulin. Das Hormon muss mit einem Insulin-Pen (ähnlich einem Stift) oder einer Insulinspritze unter die Haut gespritzt werden. Mittlerweile werden viele Kinder mit einer Insulinpumpe behandelt. Damit kann das Insulin kontinuierlich über einen feinen Schlauch verabreicht werden“.
Der Typ-1-Diabetes ist bisher nicht heilbar, aber gut behandelbar, betont die Münchner Diabetologin. Die Betroffenen müssen sich allerdings ein Leben lang täglich mehrfach mit Insulin versorgen. Das heute vor 100 Jahren 1921 zum ersten Mal isolierte Hormon Insulin ist ein chemischer Botenstoff mit einer lebenswichtigen Funktion: Es transportiert den durch Essen oder Trinken aufgenommenen Zucker aus dem Blut in die Körperzellen. Ohne Insulin kann der Körper die Nahrung nicht verwerten. Kann der Körper nur noch wenig oder gar kein Insulin mehr selbst herstellen, sammelt sich der Zucker im Blut an. Das führt zu Gesundheitsproblemen.
Schulung für die ganze Familie
Die Behandlung zuckerkranker Kinder beruht auf drei Säulen: Auf den Ersatz des fehlenden Insulins, auf der Berechnung der zugeführten Kohlenhydrate und auf regelmäßigen, mehrmals durchgeführten Kontrollen der Stoffwechselsituation.
„Das wichtigste Medikament zur Behandlung eines Typ-1-Diabetes ist das Insulin“, betont Prof. Dr. Susanne Bechtold-Dalla Pozza. „Das Kind und seine Familie müssen lernen, wie man Insulin anwendet und den Blutzucker misst. Dies wird in speziellen Schulungsprogrammen erklärt. Außerdem wird vermittelt, wie sich die Behandlung auf die Ernährung und den Lebensstil abstimmen lässt“.
Die Dosis des verabreichten Insulins muss der jeweiligen Situation angepasst sein. Bei zu viel Insulin droht die Gefahr eines Schocks durch Unterzuckerung (Hypoglykämie), der zu tiefer Bewusstlosigkeit führen kann. Bei zu wenig Insulin sind die Blutzuckerwerte erhöht (Hyperglykämie), was schlimmstenfalls ebenfalls zur Bewusstlosigkeit, zum Diabetischen Koma (Ketoazidose) führt. Solche Entgleisungen des Stoffwechsels erhöhen das Risiko der an Diabetes erkrankten Kinder, Spätkomplikationen wie Netzhautablösung, neurologische Störungen oder Nierenschäden zu erleiden.
Die Höhe des Blutzuckerspiegels hängt aber nicht nur davon ab, wie viel Insulin man spritzt, sondern auch davon, was das Kind isst und trinkt und wie viel Energie es durch körperliche Bewegung verbraucht. Körperliche Anstrengung senkt den Blutzucker, Nahrungsmittel mit Kohlenhydraten wie z. B. Zucker, Süßgetränke, Obstsäfte, aber auch Brot erhöhen den Blutzucker. Ihre Menge muss mit der Insulinmenge abgestimmt werden.
Diskussionen um das Essen
Der Diabetes eines Kindes wird zur Feuerprobe für die ganze Familie, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. Die ganze Familie muss ihren Alltag neu organisieren und den Diabetes als ständigen Begleiter akzeptieren lernen. Die Krankheit macht die Eltern zu Kontrollpersonen, die ständig überprüfen, was gegessen wird, ob die nötigen Tests durchgeführt, die Spritzen gesetzt werden. Diskussionen um das Essen kennen fast alle betroffenen Familien. Die Eltern stehen vor dem täglichen Spagat, einerseits liebevolle Erzieher, andererseits konsequente Therapeuten zu sein. Sie müssen ihrem Kind einerseits die Freiheit lassen, die es dringend braucht, andererseits müssen sie aber den kleinen Diabetiker dauernd überwachen.
Es sind meist die Eltern, die ständig an alles denken müssen: An die vielen genau überlegten und abgewogenen Mahlzeiten. An die wiederholten Blutzuckermessungen pro Tag (dabei wird heute einmal alle 7-14 Tage ein Sensor gelegt, der permanent die Blutzuckerwerte im Gewebe erfasst, ganz im Unterschied zu den bisherigen blutigen Messungen, die es erforderten, mit einer Lanzette in eine Fingerkuppe zu stechen und den kleinen Blutstropfen auf einen Teststreifen aufzutragen). An die täglichen vier bis sechs Insulininjektionen in Bauch oder Bein. An das Führen eines Diabetiker-Tagebuchs oder elektronischen Dokumentation mit vielen Daten.
Auch die Geschwister haben Probleme
Besonders belastend ist dabei die Situation für Mütter und Väter von sehr jungen Kindern, die den Sinn der therapeutischen Maßnahmen noch nicht wirklich verstehen und sich deshalb häufig mit aller Kraft widersetzen. Manchmal gibt es auch Probleme mit den Geschwistern ohne Diabetes, die sich im Alltag oft hinter dem kranken Kind einreihen müssen und sich häufig zurückgestellt fühlen. Oftmals muss ein Elternteil, meist die Frau, beruflich zurückstecken, um das an Diabetes erkrankte Kind zu unterstützen, mit erheblichen finanziellen Folgen. Auch manche Partnerschaft hält der zusätzlichen Belastung nicht Stand und die Krankheit wird zum Auslöser für eine Trennung. Andere Elternpaare rücken dagegen in der Notsituation enger zusammen und erleben mehr Miteinander in der Partnerschaft.
Der Diabetes-Alltag hört nicht vor der Haustüre auf: Auch in der Kita oder in der Schule sind diabeteskranke Kinder auf die Unterstützung der Betreuer angewiesen. Sie können die komplexe Aufgabe, ihren Insulinbedarf an Sport, Stress und Mahlzeiten anzupassen, oft noch nicht allein meistern. „Sie müssen zwar weder geschont werden, noch sollten sie eine Sonderrolle spielen“, betont Prof. Dr. Susanne Bechtold-Dalla Pozza. „Ihre Spielkameraden und Mitschüler müssen aber informiert und instruiert werden.“ Leider erfahren Kinder mit Diabetes oft Ausgrenzung, ein Individual- oder Schulbegleiter wird zur Bedingung der Teilhabe gemacht. Integration ist etwas anderes.
Eine Kindheit so normal wie möglich
Früher ging die Diagnose Diabetes mellitus mit Verzicht und Einschränkungen in der Ernährung einher, erinnert die Stiftung Kindergesundheit. Vieles durfte nicht mehr gegessen und musste vom Speiseplan gestrichen werden. Doch die Behandlung und die Ernährungsempfehlungen bei Diabetes mellitus haben sich deutlich verändert und modernisiert. „Eine diabetesgerechte Ernährung entspricht der allen Kindern empfohlenen Ernährungsweise. Sie umfasst eine ausgewogene vollwertigen Mischkost. Empfohlen werden viele Vollkornprodukte, reichlich Obst und Gemüse und bevorzugt pflanzliche Öle“, so Diabetologin Prof. Dr. Susanne Bechtold-Dalla Pozza.
Kinder mit Diabetes sollten wie alle anderen in einen Kindergarten gehen und die Schule besuchen, betont die Stiftung Kindergesundheit. Größeren Kindern ist es allerdings oft peinlich, Diabetiker zu sein. Sie möchten nicht auffallen und niemanden von ihrem Diabetes wissen lassen. Das ist aber keine gute Idee: Erzieher und Lehrer sollten unbedingt über das Problem des Kindes informiert sein. Die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) hat dazu Informationsbroschüren aufgelegt, die ein gegenseitiges Verständnis und die Abstimmung mit den Betreuern unterstützen sollen. Man findet sie im Internet unter www.diabetes-kinder.de.
Neue Behandlungsmethoden – neue Hoffnung
Ein wesentlicher Fortschritt in der Behandlung von Kindern mit Typ-1 Diabetes besteht in der stetigen Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten. So werden Insulinpumpen und Glukosesensoren zur Messung des Blutzuckers in allen Altersgruppen von Kindern und Jugendlichen deutlich häufiger angewendet als bei Erwachsenen. Bei Kleinkindern beträgt die Anwendungsrate einer Insulinpumpe in Deutschland bereits über 95 Prozent.
Heute weiß man: Muttermilch hat einen schützenden Effekt. Gestillte Kinder erkranken später seltener an Diabetes, sowohl an Typ 1 als auch an Typ 2, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit. Zurzeit erforschen mehrere wissenschaftliche Institutionen in Deutschland und in vier weiteren europäischen Ländern verschiedene Möglichkeiten einer Prävention, um die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes von vornherein zu verhindern. Die Ergebnisse der laufenden Studien werden jedoch erst 2025 bzw. 2027 erwartet.
Ausführliche Informationen zum Thema Kinder und Jugendliche mit Diabetes gibt es im Internet auf folgenden Seiten:
• https://diabetes-kinder.de/ Das ist die offizielle Seite der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie.
• https://www.diabetikerbund.de/
• https://www.deutsche-diabetes-
Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: https://www.kindergesundheit.info
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