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Jugendliche – Sorgenkinder der Kindermedizin

Die Stiftung Kindergesundheit informiert über die Vielzahl gesundheitlicher und psychosozialer Probleme von Teenagern

Es gibt in diesem Jahr einen besonderen Grund zu feiern: Die ersten Kinder, die in der Bundesrepublik an einer kostenlosen Vorsorgeuntersuchung teilnehmen durften, werden in diesem Jahr 50 Jahre alt. Seit 1971 sorgt der Gesetzgeber dafür, dass jedes Kind regelmäßig an einem Früherkennungsprogramm teilnehmen kann. Und so sind die ersten „Scheckheft-untersuchten“ Babys und Kleinkinder vermutlich längst selbst Eltern oder sogar Großeltern von ebenfalls „Scheckheft-untersuchten“ Kindern geworden, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.

Früherkennung: „Ein Erfolgsmodell!“

In dem ersten, noch blauen Vorsorgeheft, waren sieben Untersuchungstermine enthalten. Das heutige gelbe Heft beinhaltet zehn „U“-Untersuchungen (U1 bis U9) und eine “J“-Untersuchung (J1). Die 1998 eingeführte J1-Untersuchung ist der Gesundheitscheck beim Eintritt ins Jugendalter und soll Erkrankungen und Entwicklungsstörungen, aber auch soziale und psychische Probleme frühzeitig erkennen, mögliche Ursachen ergründen und wenn nötig eine Behandlung veranlassen.

„Mit einer Beteiligungsrate von weit über 90 Prozent bei Säuglingen hat sich das Früherkennungsprogramm zu einem wirklichen Erfolgsmodell entwickelt“, berichtet Kinder- und Jugendarzt Prof. Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Es gibt allerdings einen Makel: Die allen Heranwachsenden vom zwölften bis zum vierzehnten Lebensjahr angebotene Jugendgesundheitsuntersuchung J1 wird nur noch von knapp über 50 Prozent der Teenager tatsächlich wahrgenommen. Viele Eltern und Jugendliche wissen nicht einmal, dass es sie gibt“. Besonders selten nehmen Jugendliche mit Migrationshintergrund, sowie Jugendliche mit älteren Geschwistern oder mit einem alleinerziehenden Elternteil beim Kinder- und Jugendarzt den J1-Termin wahr.

„Kein Bock“ auf den Arztbesuch

Warum lassen so viele Jugendliche die J1 aus? Die häufigsten Gründe sind Unkenntnis, Ängste vor der Untersuchung, fehlendes Verantwortungsbewusstsein für die eigene Gesundheit, „keine Zeit“ und „keine Lust“.

Dabei zeigen die Erkenntnisse aus der großen Kindergesundheitsstudie KiGGS, dass auch die Jugendphase erhebliche Risiken für die Gesundheit in sich birgt, betont die Stiftung Kindergesundheit. Gerade in der Gruppe der 11- bis 17-Jährigen gibt es eine hohe Zahl von gesundheitlichen Beeinträchtigungen und psychosozialen Problemen, zu deren Bewältigung die Jugendlichen kompetente ärztliche Hilfe benötigen.

Die Kommission für Jugendmedizin der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) hat für eine Bestandsaufnahme die aktuelle Situation der in Kliniken, sozialpädiatrischen Zentren, Arztpraxen und beim Öffentlichen Gesundheitsdienst betreuten Jugendlichen analysiert und im Fachjournal „Kinder- und Jugendarzt“ veröffentlicht. Die ermittelten Daten lassen erkennen, dass Jugendliche – entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung und Überzeugung – oft erhebliche gesundheitliche Risiken tragen, betont die Stiftung Kindergesundheit.

Professor Berthold Koletzko präzisiert: „Auch wenn es der Mehrheit der Kinder in Deutschland gut oder sogar sehr gut geht, sind anhaltende Gesundheitsprobleme nicht selten und bedürfen einer sorgfältigen ärztlichen Betreuung“. Laut der KiGGS-Studie (Welle 2) haben 16,2 Prozent (15,3 %–17,1 %) der 0- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen, also ungefähr jedes sechste Mädchen bzw. jeder sechste Junge, ein lang andauerndes chronisches Gesundheitsproblem.

Asthma, Adipositas und ADHS – auch nach zehn Jahren ein Problem

Die häufigste chronische Erkrankung in Kindheit und Jugend ist Asthma bronchiale. Die entzündliche Atemwegserkrankung ist bei vielen betroffenen Kindern und Jugendlichen allergisch bedingt. Die Krankheit ist sehr belastend, da sie sich auf das emotionale Befinden, die körperliche und schulische Leistungsfähigkeit sowie auf das soziale Miteinander auswirken kann.

Auch Übergewicht und Adipositas beeinträchtigen die Lebensqualität und gehen mit schwerwiegenden Risiken wie z. B. Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes mellitus Typ 2 einher.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ADHS ist bei Kindern und Jugendlichen – und dabei vor allem bei Jungen – die am häufigsten diagnostizierte Verhaltensstörung. Sie kann sich negativ auf die schulische und soziale Entwicklung auswirken.

„Das wächst sich noch aus“ – diese Hoffnung vieler Eltern erweist sich leider häufig als trügerisch, betont die Stiftung Kindergesundheit. Die aktuellen Ergebnisse der KiGGS-Studie zeigen, dass viele Teilnehmende auch zehn Jahre später noch von ihrer chronischen Krankheit betroffen sind: Bei Asthma sind es mehr als ein Drittel (35 Prozent), ebenso bei ADHS (37 Prozent) und bei Adipositas betrifft es mit 47 Prozent fast die Hälfte.

Kliniken bleiben auf Kosten sitzen

7,7 Prozent aller Jugendlichen müssen mindestens einmal im Jahr stationär in einer Klinik aufgenommen werden. Die häufigsten Gründe hierfür sind Depressionen, Bauch- und Beckenschmerzen, Alkoholmissbrauch, Gehirnerschütterung und Blinddarmentzündung.

Die Teenager werden in Kinderkliniken häufig gemeinsam mit Säuglingen und Kleinkindern auf gemischten Stationen behandelt, die nicht primär für Heranwachsende ausgestattet sind. Ein besonderes Problem der Kliniken: Eine Finanzierung von speziellen Jugendabteilungen und Jugendstationen ist im heute gültigen Fallpauschalen-System nicht vorgesehen. Eine wirklich angemessene Betreuung der jungen Patienten über die unmittelbaren medizinischen Probleme hinaus ist in der Regel nicht gewährleistet, da das Fallpauschalen-System die Finanzierung solcher zusätzlichen Leistungen nicht vorsieht. Dies ist besonders bedauerlich, denn zwei der drei häufigsten Diagnosen für Jugendliche finden sich im Bereich der psychosomatischen Medizin, beklagt die DAKJ.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Pflegekräfte in den Kinderkliniken häufig auf die Betreuung von Neugeborenen und älteren Säuglingen spezialisiert sind, aber keine spezielle Ausbildung zu jugendmedizinischen Themen und den besonderen Bedürfnissen von Heranwachsenden vorweisen können. Mit der vom Bundestag beschlossenen Einführung einer generalistischen Pflegeausbildung wird die spezielle pädiatrische Ausbildung in der Pflege zusätzlich reduziert.

Neue Aufgaben in den Sozialpädiatrischen Zentren

Ähnliche Probleme stellen sich in den Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ). Früher lag dort der Fokus überwiegend auf der Betreuung von schwer- und mehrfachbehinderten Kindern, die vor allem eine neuropädiatrische Behandlung benötigten. Inzwischen werden aber immer mehr Kinder und Jugendliche mit anderen chronischen sowie psychosozialen Problemen betreut.

Aktuell betreffen knapp 50 Prozent aller Diagnosen Verhaltens- und emotionale Störungen. Der Anteil der Kinder mit infantiler Zerebralparese beträgt dagegen 5,6 Prozent, mit Epilepsie 8,2 Prozent.

Entsprechend hat sich auch die Zusammensetzung der SPZ-Teams im Laufe der Jahre verändert: Mittlerweile stellt die Berufsgruppe von Psychologen sowie Sozial- und Heilpädagogen den größten Anteil der Mitarbeitenden dar.

Probleme in den kinderärztlichen Praxen

Viele Jugendliche scheuen den Besuch beim Kinderarzt. Sie glauben, gesund zu sein, halten eine Untersuchung nicht für nötig und finden den Aufenthalt im Wartezimmer zwischen den Babys und kleineren Kindern „ätzend“. Dabei hätten sie genügend Gründe für ein Gespräch: Denn wenn sie gefragt werden, berichten mehr als 15 Prozent der Jugendlichen über anhaltende körperliche und psychische Erkrankungen oder zumindest Belastungen.

Gefahren für die Gesundheit bergen auch die für das Jugendalter typischen riskanten Verhaltensweisen:

Viele Heranwachsende beginnen das Rauchen, konsumieren Alkohol oder experimentieren mit illegalen Drogen. Auch Verletzungen durch gefährdendes Verhalten sind häufig:

16 Prozent der befragten Jugendlichen geben an, in den letzten zwölf Monaten einen Unfall erlitten zu haben, 6,3 Prozent sogar mehr als einmal.

Dass Jugendliche dennoch nur selten ihre Spezialisten, die Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte aufsuchen, liegt allerdings oft am Management und der kleinkind-spezifischen Ausstattung der ärztlichen Praxen. Nötig wären, nach Einschätzung der DAKJ, jugendspezifische Anmeldemöglichkeiten, Terminvergabe, geringe Wartezeit, im Umgang mit Jugendlichen erfahrene Mitarbeitende und entsprechend jugendspezifisch – zum Beispiel mit WLAN – eingerichtete Warte- und Behandlungszimmer.

Finanzierung – Knackpunkt im Öffentlichen Gesundheitsdienst

Wichtige Arbeitsbereiche der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) sind, neben dem während der aktuellen Corona-Pandemie noch wichtiger gewordenen Infektionsschutz, die in einigen Bundesländern noch regelmäßig durchgeführten Schuluntersuchungen und der Kinder- und Jugendärztliche Dienst. Das besondere Augenmerk gilt Gruppen, die häufig nicht ausreichend versorgt sind, zum Beispiel Kinder und Jugendliche aus psychosozial benachteiligten Familien, psychisch erkrankte Jugendliche, aber auch Kinder und Jugendliche von psychisch erkrankten oder suchtkranken Eltern.

Der Öffentliche Gesundheitsdienst wurde jedoch in den letzten Jahren sehr stark abgebaut und leidet mittlerweile unter einem gravierenden Personal- und Nachwuchsmangel: ÖGD-Ärztinnen und -ärzte verdienen 15 bis 20 Prozent weniger als andere Ärztegruppen. Wohl auch deshalb bleiben viele Stellen, sogar in Führungspositionen, unbesetzt.

„Die aufgezeigten gesundheitlichen Risiken zeigen, dass es sich bei den Jugendlichen um eine bisher in vieler Hinsicht in der Versorgung benachteiligte Gruppe handelt“, sagt Kinder- und Jugendarzt Professor Berthold Koletzko. „Wir brauchen daher mehr gesundheitsfördernde und präventive Lebens- und Arbeitsbedingungen in Schule und Ausbildung“.

Wichtig sei dabei ein abgestimmtes, vernetztes Handeln der daran beteiligten Institutionen von Forschung, Medizin und Politik sowie eine gesicherte Finanzierung der Maßnahmen. Professor Koletzko betont: „Nur gemeinsam können wir erreichen, dass Jugendliche gesund in ihr Erwachsenenleben starten und dort ihre Potentiale entfalten können“.

Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: https://www.kindergesundheit.de

Bild/er:  lisa runnels auf Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0

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