Stiftung Kindergesundheit informiert über die Zunahme von Sehproblemen und über Möglichkeiten der Vorbeugung
Das Tragen einer Brille gehört zum Alltag vieler Kinder in Deutschland. Die Mehrzahl von ihnen benötigt die Sehhilfe wegen einer Kurzsichtigkeit, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme. Bis zum Ende der Grundschulzeit werden in Deutschland heute rund 15 Prozent aller Kinder kurzsichtig. Der Anteil der Kurzsichtigen steigt bis zum Alter von 25 Jahren auf rund 45 Prozent. Während die Kurzsichtigkeit in vielen Regionen Ostasiens in den letzten Jahren stark zugenommen hat, ist die Rate in Deutschland nach Erhebungen augenärztlicher Fachgesellschaften in den letzten 15 Jahren unter den Jugendlichen zumindest vorerst konstant geblieben.
Dabei gibt es jedoch einen klaren Trend: Je länger ein Kind eine Schule besucht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, kurzsichtig zu werden. Damit nicht genug: Je höher der Abschluss der Ausbildung in Schule, Studium und Beruf, desto kurzsichtiger werden die Menschen.
„Bei der Geburt sind Kinderaugen in der Regel weitsichtig“, berichtet Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Das ändert sich dann im Laufe des Größenwachstums des Augapfels. Dieses Wachstum endet bei der sogenannten Normalsichtigkeit um das sechste bis neunte Lebensjahr. Wächst das Auge aber weiter in die Länge, kommt es zur Kurzsichtigkeit, fachlich Myopie genannt“.
Ist der Augapfel zu lang, schneiden sich die Strahlen, die aus der Ferne kommen, dann nicht auf, sondern schon vor der Netzhaut und werden als verschwommenes Bild ins Gehirn weiter gemeldet. Kurzsichtige Kinder versuchen deshalb, die unscharfen Bilder, die ihre Augen ihnen liefern, mit einem einfachen Kunstgriff zu verbessern: Sie kneifen die Augen zum besseren Sehen zu.
Der Grund: Durch die zugekniffenen Lider verkleinert sich die Pupille und die Trennschärfe steigt an, etwa so wie beim Fotografieren die Tiefenschärfe durch Verkleinerung der Blende erhöht wird. Dieser typischen Angewohnheit verdankt die Kurzsichtigkeit übrigens ihren medizinischen Namen: Das dabei entstehende Blinzelgesicht nannten die alten Griechen Myops, daher der Fachterminus Myopie.
Eine Kurzsichtigkeit fällt meistens erst dann auf, wenn ein Kind Gegenstände oder Personen in der Ferne immer später als andere erkennt. Es schreibt zum Beispiel falsch von der Wandtafel ab, verwechselt Zahlen oder Buchstaben, reibt sich oft die Augen und klagt über Kopfschmerzen. Professor Berthold Koletzko: „Man sollte sich hüten, ein Kind als unaufmerksam, unterdurchschnittlich begabt oder dumm anzusehen, bevor seine Sehfähigkeit genau untersucht worden ist“.
Kurzsichtigkeit liegt oft in der Familie: Sind die Eltern selbst kurzsichtig, besteht auch für das Kind das Risiko, kurzsichtig zu werden. Ist nur ein Elternteil kurzsichtig, liegt dieses Risiko bei etwa 30 Prozent, bei zwei kurzsichtigen Eltern bei 60 Prozent. Allerdings können auch normalsichtige Eltern stark kurzsichtige Kinder bekommen.
Wichtiger jedoch als die genetische Veranlagung erweisen sich Umwelteinflüsse wie Bildung, Beruf und Freizeitgestaltung auf die Entwicklung von Kurzsichtigkeit, betont die Stiftung Kindergesundheit. Es ist mittlerweile unstrittig, dass Sehgewohnheiten einen Einfluss auf das Wachstum des Auges ausüben können. Menschen, die im Kindesalter und als junge Heranwachsende über Jahre hinweg viel lesen, haben ein größeres Risiko, kurzsichtig zu werden. Dabei spielen sowohl die Lesedauer, als auch der Leseabstand und die Beleuchtung beim Lesen eine Rolle. Als ungünstig gelten das ununterbrochene Lesen über 30 Minuten hinweg und das „Lesen mit der Nase“ mit einem Abstand der Augen vom Text unter 30 Zentimeter.
Eine besondere Rolle bei der Entstehung und Fortschreiten der Kurzsichtigkeit spielt das Tageslicht, hebt die Stiftung Kindergesundheit hervor. Eine Reihe von Untersuchungen belegt, dass Kinder umso seltener kurzsichtig werden, je mehr sie im Freien spielen. Beim längeren Aufenthalt an der frischen Luft schaut das Auge meist in die Ferne und nicht auf Objekte in der Nähe.
Eine Metaanalyse bisheriger Studien ergab, dass schon zwei Stunden tägliche Aktivitäten bei Tageslicht das Auftreten der Kurzsichtigkeit halbieren. 40 Minuten zusätzlicher Aufenthalt im Freien minderten die Zunahme der Kurzsichtigkeit um etwa 20 Prozent.
Dabei spielt weniger die Intensität der Sonnenstrahlung eine Rolle als die Dauer des Aufenthalts unter freiem Himmel, betonen augenärztliche Experten. Schon relativ geringe Intensitäten des Lichts um 1000 Lux und darüber, die etwa der Umgebungshelligkeit unter Bäumen entsprechen, zeigen einen Effekt. Auch der Anteil der ultravioletten Strahlen scheint keine besondere Bedeutung zu haben.
Aufgrund dieser Erkenntnisse haben die Erziehungsbehörden des chinesischen Inselstaates Taiwan bereits vor zehn Jahren besondere Regeln für Schulkinder eingeführt. Eine der dortigen Richtlinien lautet „Tien Tien 120“ und empfiehlt jeden Tag zwei Stunden Aufenthalt im Freien. Die zweite sogenannte „30-10-Regel“ besagt, dass das Lesen alle 30 Minuten für zehn Minuten unterbrochen werden sollte. Das Befolgen dieser zwei einfachen Regeln konnte die Häufigkeit der Kurzsichtigkeit bei taiwanesischen Kindern tatsächlich nachweislich verringern.
Für eine weitere Studie in Taiwan wurden 693 Erstklässler rekrutiert. 267 von ihnen sollten sich ein Jahr lang mindestens elf Stunden pro Woche im Freien aufhalten. Die restlichen Kinder behielten ihre Lebensgewohnheiten bei. Das Ergebnis nach einem Jahr: Die Kinder der Frischluft-Gruppe benötigten schwächere Brillen als die Kinder der Kontrollgruppe und hatten ein um 54 Prozent niedrigeres Risiko für eine rasch fortschreitende Kurzsichtigkeit.
Der Einfluss von Lichtmangel auf die Entstehung von Kurzsichtigkeit wurde auch bei Kindern westlicher Länder eindeutig belegt. So zeigte eine US-amerikanische Studie, dass jede Stunde Aufenthalt pro Woche bei Tageslicht das Risiko um circa zehn Prozent senkt. Eine australische Studie mit über 1.300 Teilnehmern ergab dagegen, dass sich die Wahrscheinlichkeit für Kurzsichtigkeit verdoppelt, wenn man weniger als 30 Minuten täglich dem Tageslicht ausgesetzt ist.
„Heilen“ lässt sich eine Kurzsichtigkeit nicht, betont die Stiftung Kindergesundheit: Ist der Augapfel zu lang, schrumpft er nicht wieder. Ist Kurzsichtigkeit einmal vorhanden, bleibt sie bestehen und nimmt sogar bis ins Erwachsenenalter zu. Kurzsichtigkeit lässt sich aber mit Brillen oder Kontaktlinsen gut korrigieren und kann in einem gewissen Umfang auch eingedämmt werden.
Entdeckt der Kinder- und Jugendarzt bei einer der Vorsorge-Untersuchungen Hinweise auf Augenfehler oder Sehstörungen, wird er das Kind zur genauen Abklärung der Diagnose zum Augenarzt schicken. Dieser leitet die notwendige Behandlung ein. Zum Ausgleich der Kurzsichtigkeit bekommt das Kind eine Brille mit Zerstreuungslinsen (Konkav- oder Minusgläsern) verordnet. Diese Gläser sind in der Mitte dünner als am Rand und bewirken, dass sich die Lichtstrahlen erst weiter hinten auf der Netzhautebene vereinigen.
Kinder und Jugendliche haben bis zum 18. Lebensjahr Anspruch auf eine Brille auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen. Voraussetzung ist die Verordnung durch einen Augenarzt. Ab dem 14. Lebensjahr besteht ein erneuter Anspruch nur dann, wenn sich die Sehstärke um mehr als 0,5 Dioptrien verändert. Kindern stehen Kunststoffgläser zu, wenn sie im Vorschulalter sind oder jünger als 14 Jahre sind und die Sehfähigkeit um mehr als plus oder minus fünf Dioptrien beeinträchtigt ist. Wenn die Kunststoffgläser notwendig sind, um am Schulsport teilnehmen zu können, kommt die gesetzliche Krankenversicherung ebenfalls für die Kosten auf.
Eltern sollten das Kind stets zum Tragen der Brille ermuntern, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit: Es kann mit der Brille erwiesenermaßen konzentrierter Arbeiten und ermüdet weniger schnell, wenn es gut sieht.
Weil Kinder ihre Brille ständig tragen sollten, kommt es besonders auf den bequemen und korrekten Sitz an. Die Brille darf also nicht rutschen, damit sie exakt zentriert bleibt. Je kleiner die Fassung ist, desto weniger schränkt die Brille die Bewegungsfreiheit ein. Eine Kinderbrille sollte nicht breiter sein als das Gesicht. Besonders wichtig: Die Glasmitte gehört vor die Pupillenmitte.
Bei der Auswahl der Brille für ihr Kind sollten sich die Eltern nicht von den Modevorstellungen von Erwachsenen leiten lassen, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. „Die Brille muss dem Kind gefallen, damit sie auch gern getragen wird“, sagt Professor Berthold Koletzko. Kinderbrillen müssen stabil sein, gut sitzen und nicht rutschen. Die richtige Kinderbrille hat Kunststoffgläser, sitzt richtig fest vor den Augen auf der Nase und ist leicht, klein und lustig.
Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: www.kindergesundheit.de
Bild von Brian Holmes auf Pixabay
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