Gesund und fit bleiben durch Nahrungsergänzungsmittel und rezeptfreie Medikamente?
Sich gesund erhalten, möglichst ohne schwere Krankheiten alt werden und dabei fit bleiben – immer mehr Menschen in Deutschland greifen dafür auch zu Nahrungsergänzungsmitteln. Nach einer vom Lebensmittelverband Deutschland in Auftrag gegebenen Erhebung wurden 2018 hierzulande 225 Millionen Packungen dieser Präparate verkauft. Der Umsatz ist von 1,31 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf 1,44 Milliarden Euro im Jahr 2018 gestiegen.
Der Trend steht in deutlichem Gegensatz zu aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Hochrangig publizierte Studien legen nahe: Nahrungsergänzungsmittel sind ohne Nutzen für die Primärprävention, also die Gesunderhaltung und Vorbeugung von Krankheiten. Nicht nur das: Eine langfristige Einnahme dieser Präparate kann sogar mit Risiken einhergehen. Ähnliches gilt für rezeptfreie Medikamente wie Acetylsalicylsäure (ASS). Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente sollten deshalb nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt zum Zweck der Krankheitsvorbeugung eingenommen werden. Auf dem Kongress Viszeralmedizin 2019 werden Ärzte den Nutzen verschiedener Präparate und Medikamente kritisch beleuchten.
Eine der umfassendsten Untersuchungen zum Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln erschien 2017 im Fachblatt Advances in Nutrition. Hier werteten Forscher 49 verschiedene Studien mit insgesamt 290 000 Teilnehmern aus und stellten fest: Die Einnahme von Vitamin C-, Vitamin D- , Vitamin K- , Magnesium-, Selen-, oder Zink-Präparaten ebenso wie Omega 3-Fettsäure-Kapseln hat keinen positiven Einfluss auf die Vermeidung von Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Leiden und bewirkt keine Lebensverlängerung. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen verschiedene weitere, hochrangige Studien, die in jüngster Zeit publiziert wurden, etwa eine Auswertung der US-Kohortenstudie NHANES aus diesem Jahr. Hier fanden die Forscher lediglich positive Effekte für Vitamine und Mineralstoffe aus der Nahrung, nicht jedoch, wenn diese in Form von Nahrungsergänzungsmitteln aufgenommen wurden.
„In manchen Untersuchungen zeigen sich sehr geringfügige positive Effekte für Nahrungsergänzungsmittel-Präparate, die man jedoch abwägen muss gegen die Risiken, die diese auch haben“, sagt Professor Dr. med. Jürgen Schölmerich, Facharzt für Gastroenterologie und ehemaliger ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Frankfurt am Main. Denn einige Studien liefern Hinweise auf unerwünschte Folgen, vor allem wenn Präparate hochdosiert eingenommen werden: Vitamin A-Präparate in hohen Dosen (mehr als 25 000 IE pro Tag) beispielsweise erhöhen das Krebsrisiko; Beta-Carotin-Nahrungsergänzungsmittel steigern bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko.
„Die Werbeaussage, wonach jeder Mensch eine Extraportion Vitamine oder Mineralstoffe zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit und Gesundheit brauche, ist schlicht und einfach falsch“, sagt Schölmerich. Nur für wenige Personengruppen, etwa Schwangere oder Veganer, seien bestimmte Nahrungsergänzungsmittel-Präparate tatsächlich empfohlen. Verbraucher sollten sich mit ihrem Arzt besprechen, ob und wenn ja, welche Präparate sie benötigen.
Nicht nur Nahrungsergänzungsmittel können hinsichtlich Gesunderhaltung und Vorbeugung von Krankheiten nicht liefern, was sich viele Konsumenten erhoffen. Auch für manche Medikamente gilt dies, etwa für Acetylsalicylsäure-Tabletten. „Wegen seiner blutverdünnenden Wirkung wird Aspirin beispielsweise erfolgreich nach Herzinfarkten oder Schlaganfällen eingesetzt, um ein weiteres Ereignis zu verhindern“, so Schölmerich. In diesen Fällen, also in der sogenannten Sekundärprävention, ist das Medikament sinnvoll und wirksam. Für den Einsatz von Acetylsalicylsäure in der Primärprävention jedoch sei die Datenlage ernüchternd, so der Experte. 2018 wurden mehrere große Studien publiziert, die zeigten, dass die vorsorgliche Einnahme von Acetylsalicylsäure die Wahrscheinlichkeit des Auftretens chronischer Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Leiden oder Krebs nicht reduzieren kann und insgesamt keinen Einfluss auf die Mortalität hat. Vielmehr wiesen jene Studienteilnehmer, die regelmäßig Acetylsalicylsäure-Präparate einnahmen, eine erhöhte Rate von Blutungen, meist im Magen-Darm-Trakt, auf.
„Verbraucher sollten sich bewusst sein: Eine medizinisch nicht indizierte, langfristige Einnahme unterschiedlicher Präparate zur Primärprävention ohne Absprache mit dem Arzt kann unter Umständen mehr schaden als nutzen“, so Schölmerich. „Wer sich gesund und fit halten will, sollte lieber auf ausgewogene Ernährung und ausreichende Bewegung achten und die wichtigsten Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen.“ Besonders wichtig: die Darmkrebsvorsorge. Keine andere Vorsorgemöglichkeit sei so effizient wie diese. Denn während einer Darmspiegelung erkennt der Arzt Krebsvorstufen oder Polypen, aus denen sich ein bösartiger Tumor entwickeln kann und entfernt diese, bevor der Krebs überhaupt entsteht.
Auf dem Kongress Viszeralmedizin 2019 werden Experten in der wissenschaftlichen Sitzung „‚Oldies but Goodies‘: Medikamente für das längere Leben – eine kritische Bestandsaufnahme“ den Nutzen verschiedener Präparate und Medikamente kritisch beleuchten. Auch auf der Kongress-Pressekonferenz, die am 4. Oktober von 12.30 bis 13.30 Uhr stattfindet, werden die Experten über das Thema sprechen. Der Kongress Viszeralmedizin 2019 findet vom 2. bis 5. Oktober in Wiesbaden statt.
Literatur:
-Lukas Schwingshackl et al., Dietary Supplements and Risk of Cause-Specific Death, Cardiovascular Disease, and Cancer: A Systematic Review and Meta-Analysis of Primary Prevention Trials, Advances in Nutrition, Volume 8, Issue 1, January 2017, Pages 27–39, https://doi.org/10.3945/an.116.013516
– Chen F, Du M, Blumberg JB, Ho Chui KK, Ruan M, Rogers G, et al. Association Among Dietary Supplement Use, Nutrient Intake, and Mortality Among U.S. Adults: A Cohort Study. Ann Intern Med. [Epub ahead of print 9 April 2019] 170:604–613. doi: 10.7326/M18-2478
– John J. McNeil et al. Effect of Aspirin on Cardiovascular Events and Bleeding in the Healthy Elderly. N Engl J Med 2018; 379:1509-1518. DOI: 10.1056/NEJMoa1805819
Quelle: Viszeralmedizin 2019
Internet: www.viszeralmedizin.com
Bild/er: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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