30 Jahre UN-Charta für Kinderrechte auf Gesundheit und Bildung: Kinderärzte beklagen Mängel in der Umsetzung in Deutschland
„Unser Grundgesetz kennt keine Kinder. Es schützt zwar seit 2002 auch Tiere und Natur, Kindern bleibt aber dieser besondere Schutz verwehrt. Ihre Rechte sind im Grundgesetz nicht verankert und auch nicht einklagbar. Das muss anders werden!“ Klingt vertraut? Nicht ohne Grund: Mit dieser Forderung eröffnete Professor Dr. Berthold Koletzko vor fünf Jahren eine Tagung der Stiftung Kindergesundheit über die UN-Charta für Kinderrechte auf Gesundheit und Bildung. Was hat der Weckruf seither bewirkt? Die Antwort fällt enttäuschend aus, bedauert die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme: Die Interessen der Kinder und Jugendlichen spielen in Deutschland noch immer eine Nebenrolle.
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Die Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland ist bis heute Stückwerk geblieben, kritisiert der Münchner Kinder- und Jugendarzt und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit Professor Koletzko: „Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren stellen zwar mehr als 13 Prozent unserer Bevölkerung, aber im politischen Alltag werden sie nach wie vor oft übersehen. Bei Entscheidungen im öffentlichen Leben sowie in Politik, Justiz und Verwaltung werden ihre Stimmen kaum gehört“.
Die UN-Kinderrechtskonvention wurde am 29. November 1989 verabschiedet und im Laufe der folgenden Jahre von allen Nationen der Erde, mit Ausnahme der USA, ratifiziert. Nach der Konvention hat jedes Kind
– das Recht auf freie Meinungsäußerung,
– einen Anspruch auf Gedanken-, Gewissens,- und Religionsfreiheit,
– ein Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit,
– ein Recht auf Bildung sowie
– ein Recht auf Ruhe, Freizeit und Spiel.
Die Konvention legt fest, dass Kinder ein Recht auf das „erreichbare Höchstmaß an Gesundheit“, sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit haben. Ihre wichtigste Forderung lautet, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist.
In den Verfassungen vieler anderer europäischer Staaten, aber auch in den meisten Landesverfassungen der deutschen Bundesländer sind die Rechte von Kindern bereits festgeschrieben. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist die ausdrückliche Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz mit einem Kindergrundrecht ein wichtiges Vorhaben. Über die entsprechende Änderung des Grundgesetzes berät eine Bund-Länder-
Auch 30 Jahre nach Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention gibt es auch in Deutschland noch Mängel und Versäumnisse in der Umsetzung ihrer fundamentalen Prinzipien, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit:
– Deutschland gibt nur 5,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen, z. B. Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten aus und liegt damit unter dem OECD-Durchschnitt, der bei 6,3 Prozent liegt.
– Immer noch sind im reichen Deutschland zu viele Kinder und Jugendliche von Armut und von dadurch bedingten schlechteren Gesundheits- und Bildungschancen betroffen. Kinder in schwieriger sozialer Lage haben häufiger Bewegungsmangel und Übergewicht, leiden unter Entwicklungsstörungen, weisen häufiger Depressionen, ADHS, psychosomatische Beschwerden und Suchtprobleme auf und sind öfter durch Unfälle und von Karies betroffen. Somit erweist sich Armut als das größte Gesundheitsrisiko für Kinder in Deutschland.
– Besonders erschwert wird die Umsetzung von Kinderrechten im medizinischen Alltag durch finanzielle Zwänge in den Kliniken und Praxen. Professor Berthold Koletzko: „Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens schlägt immer mehr auch auf die Kinderheilkunde durch. Die Behandlung von Kindern kostet erheblich mehr als die von anderen Patientengruppen, wird aber durch das Fallpauschalen-System nicht hinreichend ausgeglichen. Die Unterfinanzierung der Kinder- und Jugendmedizin hat bereits zu einem dramatischen Rückgang der Kinderabteilungen in Deutschland geführt. Dadurch hat der Ansturm auf die verbliebenen stationären Einrichtungen und insbesondere die universitären Kinderkliniken zugenommen. Diese können aber dem Bedarf aufgrund der chronischen Unterfinanzierung nicht gerecht werden. Dies führt zu einer unerträglichen Verschlechterung in der medizinischen Versorgung und zu unnötigem Leiden für die Kinder“.
Kinder- und Jugendärzte verstehen sich seit je als Interessenvertreter ihrer kleinen Patienten, erinnert Professor Koletzko. Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin DAKJ, die Dachorganisation der kinderärztlichen Fachverbände, hat deshalb bereits 2015 eine Petition für die Einsetzung eines „Kinder- und Jugendbeauftragten beim Deutschen Bundestag“ gestartet. Bundesweit hatten sich der Petition mehr als 116.000 Unterstützer angeschlossen, mit einer der höchsten Unterstützerzahlen, die jemals von einer Petition beim Deutschen Bundestag erreicht wurde.
Trotz der beeindruckenden Zahl der Unterstützer wurde die Petition der DAKJ vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Verweis auf bereits bestehende parlamentarische und administrative Gremien und deren Zuständigkeiten formell abgelehnt. Der Ausschuss begrüßte jedoch ausdrücklich das Anliegen der Petition, die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Nach Beratung hat sich der Deutsche Bundestag der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses angeschlossen und unter Hinweis auf die grundsätzliche Wichtigkeit der mit der Petition verbundenen Thematik beschlossen, die Petition den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben.
Anlässlich des 70. Jahrestages der Verkündigung des Grundgesetzes haben die kinderärztlichen Verbände ihre Forderung nach Kinderrechten erneuert: „Es ist geboten, die in den letzten Jahrzehnten erfolgte Rechtsentwicklung in Bezug auf Kinderrechte auch im Text des Grundgesetzes nachzuvollziehen und Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Das wäre nicht zuletzt auch für eine weitere kinderfreundliche Entwicklung der Rechtsprechung von großer Bedeutung“, heißt es in der Stellungnahme der DAKJ vom Mai 2019.
Die Akademie der Kinderärzte unterstreicht: „Bei der Diskussion um eine verfassungsrechtliche Verankerung der Kinderrechte geht es nicht um Symbolik, sondern um elementare Ansprüche wie beispielsweise den Vorrang des Kindeswohls bei allen das Kind betreffenden Entscheidungen, das Recht auf freie Entwicklung, Entfaltung, Förderung und Bildung, das Recht auf Beteiligung sowie die Verpflichtung des Staates, Chancengerechtigkeit und kindgerechte Lebensbedingungen zu gewährleisten“.
Professor Berthold Koletzko: „Die bestehenden Gesetze haben im Bezug auf Kinder und Jugendliche oft erhebliche Defizite, sind nicht immer klar formuliert und benötigen Veränderungen im Sinne des Kindeswohls. Die Stiftung Kindergesundheit schließt sich deshalb der Stellungnahme der DAKJ an und unterstützt nachhaltig die in den Koalitionsvertrag aufgenommene Forderung nach einer ausdrücklichen Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz“.
Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: www.kindergesundheit.de
Bild/er: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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