Untersuchung: Zu viel Zeit vor Bildschirm kann die geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen
Eine aktuelle kanadische Untersuchung legt nahe, dass zu viel „Bildschirmzeit“ tatsächlich die geistige Leistungsfähigkeit eines Kindes beeinträchtigen könnte.
Kinder im Alter zwischen 8 und 11 Jahren haben der kanadischen Studie zufolge den schärfsten Intellekt, wenn sie pro Tag weniger als zwei Stunden auf ihre Handys, Tablets und Computer blicken, insgesamt 9 bis 11 Stunden schlafen und sich mindestens eine Stunde pro Tag körperlich betätigen. Leider erfüllen nur sehr wenige Kinder diese drei Ziele, so der leitende Forscher Dr. Jeremy Walsh vom CHEO Research Institute in Ottawa, Kanada.
Ähnliche Situation in Deutschland
Auch in Deutschland dürften wenige Kinder diese Ziele erreichen. KiGGS (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) zufolge sind nur 22,4% der Mädchen und 29,4% der Jungen im Alter von 3 bis 17 Jahren täglich mindestens 60 Minuten körperlich aktiv. Zwischen 2016 und 2018 hat die Mediennutzung (Smartphone, Fernsehen, Computer usw.) um 20 Minuten zugenommen – 6- bis 13-Jährige verbringen heute täglich durchschnittlich 160 Minuten (2,6 Stunden) vor einem Bildschirm, so das Ergebnis einer Befragung von IP Deutschland und SUPER RTL (Kinderwelten „Kindheit zwischen Trampolin und Smartphone – Basisdaten kindlicher Mediennutzung 2018“). Und lange andauernde Mediennutzung stört wiederum den Schlaf. So kommen Leipziger und Ulmer Forscher in einer aktuellen Untersuchung zu dem Schluss, dass insbesondere mehr als drei- bis vierstündige Computer- oder Internetnutzung den Schlaf raubt. Eine Datenerhebung der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) bestätigt, dass sich der Anteil der 15- bis 19-Jährigen mit ärztlich diagnostizierten, nicht organisch bedingten Schlafstörungen von 2006 auf 2016 mehr als verdoppelt hat. Dafür sei u.a. die vermehrte Nutzung digitaler Medien verantwortlich.
Genügend Schlaf, reichlich Bewegung und wenig Zeit vor einem Bildschirm wirken sich positiv auf die kognitiven Fähigkeiten aus
Die kanadische Studie basiert auf Daten, die zwischen September 2016 und September 2017 von über 4.500 US-amerikanischen Kindern im Alter von 8 bis 11 Jahren im Rahmen einer neuen, staatlich finanzierten 10-jährigen Studie über Gehirnentwicklung und Kindergesundheit gesammelt wurden.
Walsh und seine Kollegen überprüften, ob Kinder ihre Bildschirmzeit begrenzen, genug Schlaf und Bewegung bekommen, so wie es offiziellen Empfehlungen Kanadas von 2016 vorgeben.
Die Hälfte der Kinder erreichte die empfohlenen 9 bis 11 Stunden Schlaf, 37% erfüllten die Zielzeit von weniger als zwei Stunden vor dem Bildschirm und 18% bewegten sich täglich eine Stunde oder mehr. Im Durchschnitt verbrachten die Kinder 3,6 Stunden pro Tag vor einem Bildschirm.
Die Studie konnte keine Ursache-Wirkung nachweisen, aber je mehr ein Kind den Empfehlungen nachkam, desto besser waren seine intellektuellen Fähigkeiten und desto besser konnte es argumentieren. „Bei jeder zusätzlich eingehaltenen Empfehlung hatten Kinder eine signifikant bessere Wahrnehmung als diejenigen, die keine der Richtlinien erfüllten“, sagte Walsh.
Kinder, die die Empfehlungen für Schlaf und Bildschirmzeit erfüllten, schnitten bei den geistigen Leistungen am besten ab, gefolgt von den Kindern, die sich nur an die Begrenzung der Bildschirmzeiten hielten, zeigten die Ergebnisse.
Zu viel Bildschirmzeit könnte die Fähigkeit von Kindern beeinträchtigen, sich zu konzentrieren, besonders wenn Heranwachsende zwischen Apps auf einem Gerät oder zwischen verschiedenen Bildschirmen gleichzeitig hin und her wechseln, vermutete Walsh. „Eine führende Hypothese ist, dass viel Zeit vor Bildschirmen Multitasking erfordert und mehrere Apps oder Geräte gleichzeitig verwendet werden“, sagte Walsh. „Dies kann die Fähigkeit eines Kindes beeinträchtigen, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und dabei zu bleiben […].“
Schlaf ist auch unglaublich wichtig für die Entwicklung des Gehirns, da sich das Gehirn in dieser Zeit reorganisiert und wächst, fügte Walsh hinzu. Bewegung erhöht zudem den Blutfluss zum Gehirn und die Sauerstoffversorgung von Hirngewebe und damit die Vernetzung im Gehirn. Zu viel Bildschirmzeit könnte zu einem „Kaskadeneffekt“ führen, bei dem Kinder nicht genug Schlaf bekommen und tagsüber weniger aktiv sind. „Sie können sich vorstellen, wie sich das insgesamt auf die Gesundheit des Gehirns auswirkt“, betonte Walsh.
Was können Eltern tun?
Walsh empfahl, feste Regeln aufzustellen, z.B. wie lange Kinder vor einem Bildschirm verbringen dürfen, welche Arten von Apps sie verwenden und wie viele Bildschirme sie gleichzeitig nutzen dürfen.
Eltern sollten sich auch über die Spiele oder Apps informieren, bevor sie ihr Kind spielen lassen, und nach interaktiven Möglichkeiten suchen, mit denen sich ihr Kind beschäftigen kann. Sie sollten auch die Kindersicherung verwenden, um Inhalte zu blockieren oder zu filtern und die Bildschirmzeit zu begrenzen.
Quelle: HealthDay, The Lancet, KiGGS, IP, KKH
Quelle: Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V.
Internet: http://www.kinderaerzte-im-netz.de
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