Mit kleinen Kindern unbeschwert reisen
Die Stiftung Kindergesundheit empfiehlt eine Urlaubsplanung, die Eltern und Kindern gerecht wird.
Deutschlands Eltern sind in Urlaubsstimmung. Für fast 70 Prozent der Familien steht schon seit Monaten fest, dass es auch in diesem Jahr auf Urlaubsreise geht. Mehr Freizeit, mehr Urlaub, billige Flüge und günstige Unterkünfte haben den Lebensstil verändert: Urlaub und Reisen sind auch schon für kleine Kinder zum selbstverständlichen Teil ihres Lebens geworden. Ab wann kann man mit kleinen Kindern verreisen? Was müssen Eltern bei der Reisevorbereitung beachten? Was kann man Kindern im Urlaub zumuten und wie schützt man sie vor den im Urlaub am häufigsten vorkommenden Krankheiten? Antworten auf diese Fragen gaben international renommierte Experten auf einem Symposium zugunsten der Stiftung Kindergesundheit in München.
Ihre wichtigste Empfehlung lautete: Reisen mit Kindern müssen weit im Voraus geplant und Impfungen frühzeitig vervollständigt werden.
Babys und kleine Kinder brauchen nicht unbedingt Erholung, Schulkinder schon eher. Ganz besonders wertvoll ist der gemeinsame Urlaub mit der Familie für die berufstätigen und gestressten Erwachsenen, betonte Professor Dr. Johannes Bach von der Technischen Hochschule Nürnberg. Der Urlaub bietet ihnen die ersehnte Gelegenheit, sich ohne den sonstigen Leistungszwang im Alltag ihren Kindern und auch dem Partner widmen zu können. Besonders wichtig sei dabei die gemeinsame Abstimmung über die Bedürfnisse der Eltern und die Bedürfnisse der Kinder. „Auch Kinder wollen mitbestimmen dürfen“, unterstrich der Nürnberger Entwicklungspsychologe. „Jeder darf einmal entscheiden, was gemacht wird – auch wenn die Eltern mal eine Kröte schlucken müssen. Nur so wird es eine schöne gemeinsame Zeit“.
Nasentropfen nicht vergessen!
Für die Reisefähigkeit von Kindern gibt es grundsätzlich keine Untergrenzen, hieß es auf dem Symposium für die Stiftung Kindergesundheit. Auch Säuglinge werden immer häufiger auf längere Reisen mitgenommen. Voraussetzung dabei sei jedoch eine frühzeitige und gründliche Urlaubsplanung, sagte Kinder- und Jugendärztin Dr. Brigitte Dietz (Taufkirchen) vom Landesverband Bayern des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte BVKJ. Reisen innerhalb Europas seien auch für Babys problemlos möglich. Bei Fernreisen müssen jedoch bei der Planung die Bedingungen vor Ort bedacht werden: „Bei Reisen in ferne Kontinente sollte immer weit vor Beginn der Reise (spätestens 3 bis 4 Monate vorher) eine fachspezifische Beratung bei einer in Reisemedizin erfahrenen Kinderärztin oder Kinderarzt oder einem tropenmedizinischen Institut in Anspruch genommen werden, da es länderspezifische Besonderheiten gibt, die sich jährlich ändern können“.
In die Reiseapotheke von Kindern gehören selbstverständlich Medikamente, die das Kind auch zuhause regelmäßig einnehmen muss. Unumgänglich seien laut Dr. Brigitte Dietz außerdem Mittel gegen Fieber, Durchfall und Mücken, Juckreiz stillende Gele, Sonnenschutzmittel mit einem hohen Lichtschutzfaktor und ausreichende Mengen von Windeln. Und Nasentropfen bitte nicht vergessen! Sie sind eine wichtige Hilfe bei den während Reisen besonders häufig auftretenden Ohrenproblemen kleiner Kinder.
Auch an den Rückflug denken!
Bei Familien mit Kindern werden Flugreisen immer beliebter: Im letzten Jahr waren 40 Prozent mit einem Flugzeug in den Urlaub unterwegs. „Aus der Sicht des Kindes bedeutet Fliegen allerdings wenig Platz, schlechte Luft, Lärm und fast immer Ohrenschmerzen“, räumte Fliegerarzt Dr. Tjark F. Schwemer vom Medizinischen Dienst der Deutschen Lufthansa ein. Er empfahl den Eltern, frühzeitig für Druckausgleich zu sorgen durch Stillen, Schnuller oder Babyflasche. Damit beginnen sollte man schon beim Start und vor der Landung, also schon bevor das Kind wegen Ohrenschmerzen zu schreien anfängt.
Weitere praktische Tipps des Hamburger Mediziners: Lassen Sie das Kind reichlich trinken, aber denken Sie auch an regelmäßige Toilettengänge bzw. Windelwechsel. Wählen Sie nach Möglichkeit Flüge am Abend: Müde Kinder schlafen dann regelmäßig ein. Denken Sie auch an den Rückflug: Das Besorgen von Babynahrung oder Getränken kann an manchen Zielorten problematisch sein. „Und versprechen Sie dem Kind niemals, dass es zum Piloten in den Cockpit darf“, beschwor Dr. Schwemer: „Das ist heute bei fast keiner Fluggesellschaft mehr möglich“.
Kind darf nicht in der Sonne schlafen!
Mit den klimatischen Belastungen von Kindern im Urlaub befasste sich Kinder- und Jugendärztin Dr. Friederike Wippermann, Sportmedizinerin an der Technischen Universität München TUM. Die wichtigsten Risiken im Sommer sind Sonnenbrand, Sonnenstich, Hitzekollaps und Hitzschlag. „Diese Probleme machen besonders Säuglingen und Kleinkindern zu schaffen, da sie eine geringe Körpermasse haben und ihre Temperaturregulation noch nicht ausgereift ist“, sagte Friederike Wippermann und empfahl das Tragen einer Kopfbedeckung, ausreichendes Trinken und das meiden der Mittagssonne. Und noch eins: „Kinder sollten nicht in der Sonne schlafen!“
Manches Kind macht heute schon vor dem ersten Geburtstag Bekanntschaft mit weit entfernten tropischen Regionen, berichtete Dr. Ulrich von Both, Infektiologe am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München. Dabei erweisen sich nach Durchfall und Fieber die von Mücken übertragenen Infektionskrankheiten als das größte Gesundheitsrisiko.
Neue Gefahren: Dengue und Chikungunya
So hat sich in den letzten Jahren neben der Bedrohung durch Malaria das mit hohem Fieber, Muskelschmerzen und Kopfschmerzen einhergehende Dengue-Fieber als neue Gefahr herausgestellt. Es wird in vielen tropischen und subtropischen Teilen der Welt zu einem wachsenden Problem. Dengue ist derzeit schon in über 100 Ländern in Afrika, Amerika, Südost-Asien und im Pazifik anzutreffen. Die WHO spricht von mindestens 100 Millionen weltweiten Dengue-Infektionen pro Jahr.
Auch Chikungunya wird von Mücken verbreitet. Chikungunya bedeutet „der gekrümmt Gehende“, weil die Krankheit mit starken Gliederschmerzen verbunden ist. Das Chikungunya-Fieber kommt vor allem in Indien, Südostasien (z.B. Thailand, Indonesien) und in Afrika südlich der Sahara vor. In der Regel heilt die Infektion folgenlos aus. Eine Impfung gibt es leider nicht. Moskitonetze bieten zwar einen unersetzlichen Schutz in der Nacht, viele Mücken seien aber auch am Tage aktiv. Gegen sie helfen nur Mückenschutzmittel (Repellentien).
Youtube macht Lust auf fremdes Essen
Kleine Kinder haben gewöhnlich eine deutliche „Neophobie“, berichtete Prof. Dr. Thomas Ellrott, Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie der Universität Göttingen. Sie bevorzugen ausschließlich das Essen, das sie schon kennen. Dieses Verhalten ist als Sprichwort: „Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht!“ fest im Sprachgebrauch verankert. Auch scharfes Essen lehnen Kinder häufig ab. Deshalb gelingt es Eltern meist nicht, ihnen die fremd aussehenden und schmeckenden Köstlichkeiten des Urlaubslandes schmackhaft zu machen.
Was hilft? „Eltern sollten bereits zuhause in die Essgewohnheiten und Speisen am Reiseziel hineinschmecken!“, lautet die erste Empfehlung des Göttinger Experten. Asiatische oder mediterrane Küche findet man heute bei uns fast überall.
Sein zweiter überraschender Tipp: „Kinder zwischen acht und 16 Jahren lassen sich gern von Videos auf Youtube anregen. Man findet dort eine riesige Auswahl von kulinarischen Anleitungen zu fremden Essgewohnheiten“. Und selbst der Besuch von Kettenrestaurants am Urlaubsort, die das Kind von zuhause kennt, kann das Interesse für Fremdes wecken, sagt Professor Thomas Ellrott: „Dort gibt es oft nicht nur die bekannten Hamburger, sondern häufig auch regional zubereitete und gewürzte Speisen zu entdecken“.
Richtiges Essen für reisende Babys
Babys, die noch gestillt werden, haben es auch auf Reisen gut: Die Mutterbrust vermittelt auch an fremden Orten Vertrautheit und Sicherheit, sagte Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselspezialist der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. Stillbabys werden höchstens irritiert, wenn die Mutter ungewohnte Speisen isst: „Aroma und Geschmack der Muttermilch kann sich dadurch verändern und schon eine Knoblauchmahlzeit kann das Trinkverhalten des Babys beeinflussen“.
Die Planung für Flaschenbabys kann dagegen recht kompliziert sein, stellte Professor Koletzko fest und nannte eine Reihe von Beispielen: Die gewohnte Babynahrung ist nicht in jedem Land erhältlich, deshalb sollte die übliche Pulvermilch für mindestens einige Tage eingepackt werden. Außerhalb Westeuropas und in warmen Ländern muss das Leitungswasser zur Zubereitung mindestens fünf Minuten abgekocht werden. Das gilt auch für abgepacktes stilles Wasser. Zubereitete Milch bietet einen Nährboden für Krankheitserreger, deshalb muss Säuglingsnahrung immer frisch zubereitet, innerhalb von zwei Stunden verfüttert und der Rest entsorgt werden.
Auch Gläschenkost kann tückisch sein: Breie sind im Ausland oft anders, viel süßer, salziger und weniger Bio. Sie sind in Landessprache beschriftet und in manchen Ländern ein sehr teurer Luxusartikel. Es empfiehlt sich, für einige Tage Fertigbreie, Instant-Flocken oder Gemüsegläschen mitzunehmen. Dabei sollte man auch die häufigen Verspätungen berücksichtigen. Aber Achtung: „Gläschen sind schwer und zerbrechlich“, warnte Professor Koletzko. „Bei Flugreisen müssen sie gut gepolstert in einem Hartschalenkoffer eingepackt werden. Falls möglich, auf Produkte in Kunststoffverpackung ausweichen“.
Impfschutz vor jeder Reise überprüfen!
Impfungen sollten möglichst rechtzeitig geplant und durchgeführt werden, damit bei der Abreise ein ausreichender Impfschutz besteht, erläuterte Prof. Dr. Johannes Liese, Infektionsspezialist der Universitäts-Kinderklinik Würzburg und Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Kindergesundheit. Grundsätzlich benötigen Kinder die von der Ständigen Impfkommission STIKO empfohlenen Standardimpfungen (gegen Diphtherie, Tetanus, Kinderlähmung, Hepatitis B, Keuchhusten, Haemophilus influenzae B, Windpocken, Masern, Mumps, Röteln) und ggf. zusätzlich individuell empfohlene Reiseimpfungen. Der Impfschutz muss vor jeder neuen Reise überprüft und wenn nötig aufgefrischt werden.
„Für einen Urlaub in den Tropen ist der komplette Impfschutz erst recht eine unverzichtbare Basis“, hob Professor Liese hervor: „Kinder sind durch Infektionskrankheiten viel gefährdeter als Erwachsene. Das Infektionsrisiko in Tropen und Subtropen ist aber deutlich erhöht und die Möglichkeiten der medizinischen Hilfe sind oft unzureichend“.
„Leider rechnen die meisten Eltern nicht mit der Gefahr ansteckender Krankheiten in den uns nahegelegenen Urlaubsländern wie Türkei, Süditalien, Ägypten oder Nordafrika“, bedauerte Professor Liese. Als Beispiel nannte er Hepatitis A, eine Leberentzündung, die in Ländern mit mangelhaften hygienischen und sanitären Verhältnissen droht. Die Infektionsquellen sind verunreinigte Lebensmittel und Trinkwasser.
Gute Sonne, böse Sonne
Dank Sonnenschein bildet sich das lebenswichtige Vitamin D in der Haut und mit Hilfe der Sonne bessern sich auch manche Hautkrankheiten bei Kindern. Leider nicht alle, berichtete Hautärztin Professor Dr. Franziska Ruëff von der LMU München. So könne starke UV-Strahlung einen neuen Schub von Neurodermitis auslösen.
Kinderhaut braucht einen besonderen Schutz vor UV-Strahlen, betonte die Münchner Dermatologin und nannte dabei wichtige Empfehlungen für den Umgang mit Sonnenschutzmitteln:
Die Produkte sollten Schutz im UVA- und UVB-Spektrum bieten. Sie müssen in ausreichender Menge aufgetragen werden und zwar bereits 30 Minuten vor dem Gang an den Strand! Wenn auch Schutz vor Mückenstichen benötigt wird, erst Sonnenschutz und dann Mückenschutz auftragen. Sonnenschutzmittel für Kinder sollten wasserfest sein. „Dennoch muss nach dem Baden oder wenn das Kind geschwitzt hat, nachgecremt werden“ hob Prof. Dr. Franziska Ruëff hervor.
Das Münchner Symposium wurde vom Freundeskreis der Stiftung Kindergesundheit veranstaltet. Dr. Heinz Boeckler, Vorstand des Freundeskreises kündigte an, Familien schon bald eine Zusammenfassung der praktischen Empfehlungen auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse des Symposiums zugänglich zu machen.
Im Juni finden Sie eine detaillierte Zusammenfassung des Symposiums auf der Stiftungswebsite.
Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: www.kindergesundheit.de