Neugeborenen-Screening auf schwere kombinierte Immundefekte (SCID)

Frühe Diagnose und früher Start mit Infektionsprophylaxe und Stammzelltransplantation vermeiden schwere oder tödliche Infektionen

Der schwere kombinierte Immundefekt (Severe combined Immunodeficiency, SCID) umfasst eine Gruppe genetischer Erkrankungen, bei denen es durch das Fehlen von wichtigen Immunzellen zu einem Ausfall der Immunabwehr kommt. Unbehandelt sterben die meisten Kleinkinder mit SCID innerhalb von ein bis zwei Jahren. Ob eine Früherkennungsuntersuchung von Neugeborenen auf SCID in Kombination mit einer kurativen Therapie einen Nutzen oder Schaden haben kann, ist derzeit Gegenstand einer Untersuchung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Die vorläufigen Ergebnisse hat das Institut am 29. Juli 2016 veröffentlicht.

Demnach zeigt sich ein Anhaltspunkt für einen Nutzen, denn je früher die Untersuchung kombiniert mit einer Infektionsprophylaxe und einer Anschlussbehandlung in Form einer allogenen Knochenmark- oder Stammzelltransplantation durchgeführt wird, desto seltener treten schwere oder tödliche Infektionen bei den betroffenen Kindern mit SCID auf. Bis zum 26. August 2016 können interessierte Personen und Institutionen schriftliche Stellungnahmen zu diesem Vorbericht abgeben.

Kleinkinder mit SCID sterben früh

Der Ausfall der Immunabwehr bei SCID geht zurück auf Gendefekte, die zu einem Mangel an bestimmten Enzymen führen. Dadurch wird die Entwicklung von wichtigen Immunzellen, nämlich T-Lymphozyten, B-Lymphozyten und NK-Zellen, gehemmt.

Kinder mit SCID sind deshalb bereits im Säuglingsalter extrem infektionsanfällig und dürfen keine Lebendimpfungen (z. B. gegen Rotavirus) oder auch Transfusionen mit unbestrahlten Blutprodukten erhalten. Unbehandelt sterben die meisten Kleinkinder mit SCID innerhalb von ein bis zwei Jahren. Wie viele Kinder in Deutschland mit SCID geboren werden, ist nicht bekannt. Statistiken der gesetzlichen Krankenversicherung berichten für das Jahr 2013 von 21 Fällen bei unter einjährigen Kindern.

Standardbehandlung: Infektionsprophylaxe und Transplantation

Derzeit wird SCID mit einer allogenen Knochenmark- oder Stammzelltransplantation behandelt: Dabei werden die insuffizienten Stammzellen des Kindes durch die eines geeigneten Spenders ersetzt, um die Immunfunktion des Kindes aufzubauen.

Bereits vor Einleitung einer kurativen Therapie müssen die Neugeborenen durch präventive und unterstützende Maßnahmen stabilisiert werden, beispielsweise strenge hygienische Vorsichtsmaßnahmen, eine Prophylaxe gegen Infektionen und den Ersatz von Antikörpern.

Fachleute gehen davon aus, dass eine möglichst frühe SCID-Erkennung und anschließende Behandlung die Chancen erhöht, Schäden und Todesfälle zu vermeiden.

SCID noch nicht im Routine-Test-Programm

In Deutschland wird das sogenannte erweiterte Neugeborenen-Screening durchgeführt. Die Teilnahme an diesen Untersuchungen ist freiwillig. Ziel ist es, frühzeitig Krankheiten zu erkennen, die die körperliche oder geistige Entwicklung gefährden könnten. Welche Krankheiten dies sind und welche Tests angewendet werden sollen, wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in den sogenannten Kinder-Richtlinien festgelegt.

Das Screening auf SCID ist dort noch nicht verankert. Beim Neugeborenen-Screening wird unter anderem getrocknetes Blut analysiert, das auch zur Bestimmung des Immunstatus und damit zur SCID-Diagnose verwendet werden könnte.

Der G-BA hatte nun das IQWiG beauftragt, Nutzen und Schaden eines Screenings von Neugeborenen auf SCID in Kombination mit einer kurativen Therapie zu bewerten. Ziel ist es, Kinder mit SCID bereits vor der ersten Infektion zu identifizieren und eine kurative Therapie frühzeitig einzuleiten.

Auch Studien niedriger Evidenzstufen recherchiert

Der schwere kombinierte Immundefekt ist eine extrem seltene und schwere Erkrankung. Daher hat das IQWiG den methodischen Rahmen für die Nutzenbewertung mit Analysen einzelner Bausteine der Screening-Kette wie auch mit Studien niedriger Evidenzstufen, etwa retrospektiven Analysen, weit gefasst. Von insgesamt neun relevanten Studien liefern zwei vergleichende Interventionsstudien verwertbare Ergebnisse zur Sterblichkeit (Mortalität).

Daten zum Auftreten von Infektionen (Morbidität) wurden nur unvollständig berichtet, deshalb ist zu diesem Endpunkt keine Nutzenaussage möglich. Zu allen anderen Endpunkten (z. B. Krankenhausaufenthalte, Entwicklungsstörungen, gesundheitsbezogene Lebensqualität) lagen keine Studienergebnisse vor.

Je früher die Behandlung, desto weniger Todesfälle

Eine retrospektive Datenanalyse von 108 Kindern in zwei englischen Krankenhäusern zeigte einen deutlichen Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen: In der Gruppe von 60 Patienten mit frühem Behandlungsbeginn gab es sechs Todesfälle (10 %), während in der Vergleichsgruppe mit späterem Therapiebeginn 29 von 48 Patienten (60 %) starben.

Auch in einer zweiten Studie zeigte sich ein deutlicher Vorteil bei einer früheren (Alter < 3,5 Monate) im Vergleich zu einer späteren Transplantation (Alter > 3,5 Monate): Von 21 Kindern der Interventionsgruppe starb eines (5 %), in der Vergleichsgruppe mit 96 Patienten kam es zu 25 Todesfällen (26 %).

Insgesamt lässt sich daraus ein Anhaltspunkt für einen Nutzen des früheren Behandlungsbeginns mit einer Infektionsprophylaxe und anschließender Stammzelltransplantation ableiten. Eingeschränkt ist die Ergebnissicherheit durch das Studiendesign (nicht randomisiert und retrospektiv) und die Unvollständigkeit der Daten.

Diagnostische Güte: Test auf SCID ist grundsätzlich geeignet

Die Daten aus drei relevanten Studien zur diagnostischen Güte reichen nicht aus, um die Sensitivität und Spezifität zu berechnen: Die Anzahl der falsch-negativen und richtig-negativen Befunde bleibt deshalb unklar.

In Anlehnung an eine mit dem deutschen Kontext vergleichbare Studie für ein SCID-Screening auf Basis des Gehalts von T-Zellen im Filterkartenblut ist für den deutschen Versorgungskontext davon auszugehen, dass dieser Test grundsätzlich geeignet ist, Kinder mit SCID zu identifizieren. Unklar ist, wie viele Kinder mit SCID nicht gefunden werden.

Möglicher Schaden ist begrenzt

Da sich positive Testbefunde durch einen anschließenden Gentest abklären lassen, sind unnötige Behandlungen durch das Screening nicht zu befürchten. Einen möglichen Schaden hätten bei falsch-positivem Testergebnis allerdings die Eltern: Sie sind in der Zwischenzeit psychisch belastet, auch wenn der Gentest am Ende „Entwarnung“ gibt.

Weil ein negatives Testergebnis Neugeborene nicht von den übrigen Untersuchungen nach bisherigem diagnostischem Standard ausschließt, haben auch Neugeborene mit falsch-negativem Ergebnis aus einem SCID-Screening keinen Schaden zu erwarten im Vergleich zu einer Diagnosestrategie ohne SCID-Screening.

Zum Ablauf der Berichtserstellung

Den vorläufigen Berichtsplan für dieses Projekt hatte das IQWiG im Dezember 2015 vorgelegt und um Stellungnahmen gebeten. Die eingegangene Stellungnahme wurden zusammen mit einer Würdigung und dem überarbeiteten Berichtsplan im Februar 2016 publiziert. Stellungnahmen zu dem jetzt veröffentlichten Vorbericht werden nach Ablauf der Frist gesichtet. Sofern sie Fragen offen lassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen.

Weitere Informationen:
zum Vorbericht

Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0


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