Babyblues: Depressionen nach der Geburt – schnelle Hilfe notwendig
Mehr als die Hälfte aller Frauen gerät in den Tagen nach einer Geburt in Phasen von Depression, Leere und Erschöpfung. Daran ist sind zu einem Teil das Schwangerschaftshormon Östrogen schuld. Dieses Hormon wird während der Schwangerschaft nicht nur in den Eierstöcken produziert, sondern auch in der Plazenta, und erreicht in den Wochen vor der Geburt die 200fache Konzentration gegenüber den Zeiten ohne Schwangerschaft. Nach der Geburt hört die massive Hormonproduktion schlagartig auf; innerhalb weniger Stunden und Tage bricht die Östrogenmenge im Blut völlig zusammen. Viele Frauen erleben sich in den Tagen direkt nach der Geburt als besonders niedergeschlagen, erschöpft, schutz- und hoffnungslos. Wenn sich der Körper an das neue Hormongleichgewicht gewöhnt hat, hört der „Babyblues“ in vielen Fällen wieder von allein auf.
Bei etwa jeder vierten Frau bleiben die Symptome aber länger bestehen und werden im Lauf der Zeit manchmal sogar noch stärker, wie die Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. med. Valenka Dorsch von der LVR-Klinik Köln in ihrem Vortrag „Prävention postpartaler psychischer Störungen“ am 4. März 2016 im Rahmen des FOKO 2016 erläuterte, des größten jährlichen frauenärztlichen Fortbildungs-kongresses in Deutschland. Denn das Zusammenleben mit dem Baby stellt die Eltern vor eine völlig neue Situation. Die Versorgung des Neugeborenen lässt sich vor allem am Anfang in keinerlei Stundenplan einfügen, kein Tag ist wie der andere, keine Planung ist mehr zuverlässig. Innerhalb weniger Tage kommen zu den Strapa-zen der Geburt anhaltend gestörte Nächte, die Anstrengung, mit dem Weinen und Schreien der Babys zurechtzukommen und die Aussicht, dass sich das auf Wochen und Monate nicht mehr ändern wird. Besonders Frauen, die bisher gewohnt waren, ihr Leben souverän und organisiert im Griff zu haben, kommen mit der neuen Situation oft überhaupt nicht klar, verausgaben sich völlig, um eine gute Mutter zu sein und kommen seelisch und körperlich schnell an ihre äußersten Grenzen.
Versteinert, leer, keine Zuneigung zum Baby
Vor allem dann, wenn bereits vorher unterschwellig eine Neigung zu depressiven Phasen bestand, können die Veränderungen bei Frauen, aber manchmal auch bei Männern in den ersten Wochen mit dem Baby eine depressive Erkrankung auslösen. Dabei muss nicht immer das typische Gefühl bodenloser Verzweiflung und Traurigkeit im Vordergrund stehen. Ebenso häufig sind zum Beispiel das Gefühl, wie versteinert, völlig ausgebrannt und leer zu sein und keinen Ausweg mehr zu wissen, dem Baby keine Zuneigung geben zu können oder sogar die zwanghafte Vorstellung, dem Baby etwas anzutun. Ein besonderes Risiko, in eine derartige Krankheit hineinzugeraten, haben Frauen, die unter der Geburt sehr stark gelitten haben und mit diesem Trauma nicht zurechtkommen, so Dorsch.
„Frauen, die spüren, dass sie in eine solche depressive Phase hineinrutschen, dass alles über ihnen zusammenzubrechen droht, sollten um Hilfe bitten“, erläutert die Psychotherapeutin. Da wäre als erstes die Möglichkeit, die Hebammen-Betreuung nach der Geburt zu verlängern. Außerdem gibt es unter dem Stichwort „Frühe Hilfen“ und „Babylotsen“ seit Kurzem spezielle Beratungsangebote für Mütter – und auch Väter –, die nach der Geburt eines Kindes in einer schwierigen Situation sind und Unterstützung brauchen. Die Geburtsklinik, aber auch die betreuenden Frauen- und Kinderärzte können den Kontakt zu diesen Netzwerken meist herstellen. Sich ans Jugendamt zu wenden und um Hilfe zu bitten, davor haben viele Frauen Angst, weil sie fürchten, dass ihnen dann ihre Kinder weggenommen werden könnten, wenn sie sagen, dass sie kurz vor dem Zusammenbruch stehen.
Möglichst bald ärztliche Hilfe
Deshalb ist es für die Frau, für das Baby und für die ganze Familie hilfreich, wenn die Mutter mit ihrer depressiven Erkrankung möglichst bald fachliche ärztliche Hilfe erhält. Manche Frauen können überhaupt keine Beziehung zu ihrem Baby aufbauen und fühlen sich dann besonders schuldig. „Hier ist eine rasche Hilfe wichtig“, erläutert die Ärztin der Schwangerensprechstunde der LVR-Klinik Köln. „Denn nicht die Frau ist schuld, sondern die Erkrankung, und die kann behandelt werden. Eine psychotherapeutische Behandlung ist hilfreich, in dieser Situation aber als alleinige Maßnahme manchmal zu langwierig. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit einigen modernen Antidepressiva, die auch während des Stillens angewendet werden können. Vielen Frauen kann dadurch sehr gut geholfen werden, sich so weit aus der Depression zu befreien, um mit ihrer Situation zurechtzukommen und einen guten und intensiven Kontakt zu dem Baby aufzubauen.“
Niedergelassene Frauenärztinnen und-ärzte haben bereits durch ihre Facharzt-ausbildung eine psychosomatische Qualifikation; deshalb kann es sinnvoll sein, die Situation zunächst mit der eigenen Frauenärztin und dem eigenen Frauenarzt zu besprechen. Bei diesem Gespräch können die Weichen für das weitere Vorgehen und für geeignete Maßnahmen aus dem weiten Feld der Angebote gestellt werden.
Hilfsangebote
www.schatten-und-licht.de
Selbsthilfe und Netzwerk für Frauen mit Depressionen nach der Geburt
www.fruehehilfen.de
Angebote im Rahmen des bundesweiten Projekts „Frühe Hilfen“. Die Angebote sind regional sehr unterschiedlich ausgebaut.
www.embryotox.de
Wissenschaftliche Datenbank und Beratungsangebot zu Arzneimitteln in Schwangerschaft und Stillzeit.
Quelle: Berufsverband der Frauenärzte e.V.
Internet: http://www.bvf.de/
Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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