Elektronische und digitale Medien sind in vielen Bereichen des Lebens beständig auf dem Vormarsch. Kinder und Jugendliche verbringen ihre freie Zeit immer mehr mit Computerspielen, mit Chatten und Surfen im Internet, mit dem Konsum von Videos oder von Fernsehsendungen. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Mediennutzung und der Gesundheit? Wie beeinflussen die Medien die intellektuelle, körperliche und psychische Entwicklung von Kindern?
Mit diesen Fragen beschäftigte sich ein wissenschaftliches Symposium zugunsten der Stiftung Kindergesundheit. Es fand am 05. Oktober im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München statt.
Die Erfindung und Verbreitung neuer Medien hat schon zu früheren Zeiten zu kontroversen Diskussionen in der Gesellschaft geführt: Die zunehmende Publikation von Büchern im 18. Jahrhundert löste damals besorgte Warnungen vor der Gefahr von „Lesesucht“ aus. Die Ausbreitung des Fernsehens in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts war ebenfalls Anlass zu einer intensiven Auseinandersetzung über die möglichen Gefahren des TV-Konsums für die Gesundheit und Entwicklung von Kindern. Diese Diskussion ist noch in vollem Gange.
Eltern und Lehrer überfordert
Zurzeit stellen jedoch die explosionsartige Zunahme der digitalen Medien und der angemessene Umgang mit ihnen im Kindes- und Jugendalter die größte Herausforderung für Eltern, Pädiater und Pädagogen dar. „Viele Eltern und auch viele Mitarbeiter von Bildungseinrichtungen sind mit der rasant zunehmenden Digitalisierung überfordert“, hob Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit hervor. „Sie brauchen wissenschaftlich fundierte Informationen über die Risiken und Chancen der Mediennutzung und Leitlinien für die richtige Dosis und Auswahl“.
Emilia Müller, Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Familie und Integration und Schirmherrin der Münchner Veranstaltung formulierte in ihrem Grußwort prägnant die Befürchtungen der Gesellschaft: „Der exzessive Umgang mit Medien, aber auch Konflikte in sozialen Netzwerken bergen zahlreiche Risiken, wie etwa Vernachlässigung von Schule und Ausbildung, sozialer Rückzug oder Bewegungsmangel. Kinder und Jugendliche müssen lernen, Gefahren, die Internet und neue Medien mit sich bringen, zu erkennen. Sie müssen lernen, sich zu schützen und Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen, damit sie zu einem vernünftigen Umgang mit Medienangeboten fähig sind“.
Haben Fernsehen, Computernutzung, digitale Kommunikation, Online-Inhalte und Computerspiele wirklich nur Risiken und unerwünschte Nebenwirkungen, wie von einigen Wissenschaftlern befürchtet? Oder gibt es einen gesunden Umgang mit den Medien im Kindesalter?
Die am Münchner Symposium beteiligten Experten aus Medizin, Psychologie, Pädagogik und Medienwissenschaften zeichneten ein differenziertes Bild des heutigen digitalen Alltags von Kindern und Jugendlichen.
Kinderhaushalte voll ausgestattet
Thomas Rathgeb von der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg stellte die aktuellen Ergebnisse der KIM-Studie (Kinder plus Medien, Computer plus Internet) vor. Für diese Studie wurden 1.220 deutschsprechende Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren und ihre Erziehungspersonen in persönlichen Interviews befragt. Hier nur einige Fakten aus der Fülle der in der KIM-Studie ermittelten Informationen:
Spannend sind auch die Ergebnisse auf die Frage, bei welchen Medienaktivitäten der Kinder auch die Eltern dabei sind und welche Medientätigkeiten die Kinder selbstbestimmt in ihren Alltag integrieren. 55 Prozent der Kinder schauen mit ihren Eltern gemeinsam fern, aber nur zwölf Prozent sind eher zusammen mit den Eltern online. Jedes dritte Kind surft meistens alleine im Internet. Kommunikationswege via SMS, Email und Chat werden ebenfalls meist alleine genutzt.
Nutzen für die Sicherheit
Der Anteil von Handys und Smartphones ist zwischen 2012 und 2014 von 44 auf 75 Prozent angestiegen. „Viele Eltern beklagen zwar, dass ihr Kind zu viel Zeit mit dem Smartphone und im Internet verbringt“, so Thomas Rathgeb. „Gleichzeitig schätzen sie aber die Geräte für die Sicherheit und Kontrolle des Kindes, das dadurch jederzeit erreichbar ist“.
Leider hat die Intensität der Mediennutzung nachweisliche Auswirkungen auf das Körpergewicht der Kinder, berichteteProfessor Dr. Wolfgang Arendt vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Die von seinem Institut koordinierte IDEFICS-Studie untersuchte bei über 11.000 Kindern in acht europäischen Ländern die Zusammenhänge zwischen Ernährung, Lebensstil und sozialen Determinanten und der Entwicklung von Übergewicht bei zwei- bis neun-jährigen Kindern.
Mit jeder Stunde TV wachsen die Pfunde
Mit jeder zusätzlichen Stunde, die ein Kind am Tag vor dem Fernseher verbrachte, erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit um 22 Prozent, zur Gruppe mit dem größten Zuwachs des Body-Maß-Index zu gehören. Diese Gefahr wächst um 33 Prozent, wenn das Fernsehgerät im Kinderzimmer steht und um 22 Prozent, wenn während des Essens ferngesehen wird.
Untersucht wurde auch, inwiefern Fernsehen und die Nutzung des Computers die Vorlieben der Kinder für bestimmte Lebensmittel verändert. Das Ergebnis war eindeutig: Jede zusätzliche Stunde des täglichen Fernsehkonsums bedeutet eine um 19 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für einen erhöhten Verzehr zuckerhaltiger Getränke. „Unsere Daten bestätigen, dass ein höherer Fernsehkonsum der Kinder im Querschnitt für eine Vorliebe für zuckerhaltige und fettreiche Lebensmittel und im Längsschnitt mit Übergewicht und Adipositas und einem höheren Konsum von zuckerhaltigen Getränken assoziiert ist“, so Professor Dr. Wolfgang Arendt.
Die Analyse ergab außerdem, dass das Wohlbefinden der Kinder durch viel Fernsehen und Computernutzung negativ beeinflusst wird. Das zeigt sich durch vermehrte emotionale Probleme, besonders bei Mädchen und ein schlechtes Familienleben bei Jungen und Mädchen.
„Die Vorbeugemaßnahmen, die sich aus unseren Ergebnissen ableiten lassen, sind klar: Bitte keinen Fernseher oder DVD-Spieler in den Kinderzimmern!“, unterstrich Professor Arendt mit großem Nachdruck. „Wenn Eltern Grenzen setzen, so dass die Kinder weniger Werbefernsehen schauen und nicht alle dad
urch suggerierten Wünsche erfüllt bekommen, kann dies zu einer positiveren Lebensmittelauswahl der Kinder führen. Wir folgern daraus, dass eine Beschränkung der Fernsehwerbung eine bessere Gesundheit der Kinder fördern kann“.
Die Experten des von André Gatzke vom WDR-Fernsehen moderierten Symposiums waren sich einig: Das wichtigste Medium für Kinder ist nach wie vor das Fernsehgerät. Es hat allerdings auch dunkle Seiten und kann den Kindern Angst machen, berichtete Andrea Holler vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) München.
Andrea Holler: „Fernsehen macht Kindern Spaß, ist spannend und lustig. Kinder verarbeiten ihre Eindrücke allerdings anders als Erwachsene und müssen erst nach und nach lernen, wie sie das Gesehene einordnen und damit umgehen können. Es kann immer wieder passieren, dass Bilder und Informationen sie überfordern, ängstigen oder verstören.
Bei einer Befragung in Deutschland gaben sechs von 10 Kindern im Alter zwischen acht und neun Jahren an, erst kürzlich Angst beim Fernsehen gehabt zu haben. Ein Drittel berichtete über Alpträume, besonders nach Sendungen, die nicht für ihr Alter freigegeben sind“.
Und das sind viele: „Mehr als eine Million Kinder unter zwölf Jahren sitzen jeden Samstag nach 20 Uhr vor dem Fernsehgerät. Jedes vierte Kind berichtet, schon Sendungen gesehen zu haben, die für Kinder nicht geeignet waren“ berichtete Medienexpertin Andrea Holler.
Manches Risiko wird übertrieben
Viele Behauptungen über die angeblichen Gefahren digitaler Medien halten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand, betonte Prof. Dr. Markus Appel, Kommunikationspsychologe der Universität Koblenz-Landau: „Von einer ‚digitalen Demenz’ kann keine Rede sein: Die Menschheit wird immer schlauer. Die IQ-Werte steigen über die Jahre kontinuierlich weiter an“.
Psychotherapeut PD Dr. Karl-Heinz Brisch (LMU München) führte die exzessive Mediennutzung mancher Konsumenten auf die unzulängliche Verarbeitung von Traumata, Stress und Konflikten zurück. Die neuen Medien seien nicht die Ursache ihrer suchtartigen Verwendung, sondern lediglich ein Ventil, ein Surrogat für fehlende Bindung.
Claudia Lampert vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung hob die Potenziale der Medien hervor, die auch für die Gesundheitsförderung genutzt werden können. „Die Medien eignen sich nicht nur als Vermittler von Informationen, sondern auch als Zugang zu medienaffinen Kindern, an denen wohlgemeinte gesundheitsförderliche Ratschläge meist eher abprallen. Durch Fernsehserien oder Computerspiele, in die gesundheitsfördernde Themen und Botschaften eingebettet sind, lassen sich gerade medienaffine Kinder zu gesünderen Verhaltensweisen bewegen“.
Um nachteilige Folgen eines exzessiven Umgangs mit Medien zu reduzieren, sollten vor allem die Eltern ihrer Erziehungsaufgabe bewusst werden, betonten die Experten des Münchner Symposiums.
„Dazu sollten wir vor allem den jungen Eltern, die ja selbst schon zur Internet-Generation gehören, in den von ihnen bevorzugten Medien fundierte Informationen anbieten“, empfahl Dr. Maya Götz, Leiterin des IZI und Prix Jeunesse International.
Professor Koletzko plädierte für einen medienfreien Tag der ganzen Familie in der Woche und erinnerte an die bereits vor Jahren formulierten Empfehlungen der Stiftung Kindergesundheit:
Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: www.kindergesundheit.de
Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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