Unter selbstverletzendem Verhalten (SVV) versteht man die bewusste, freiwillige und direkte Zerstörung von Körpergewebe, wobei keine suizidale Absicht bestehen muss. Die häufigste Form der Selbstverletzung ist das Zufügen von Schnittverletzungen mit scharfen oder spitzen Gegenständen wie Messern, Rasierklingen, Scherben oder Nadeln. Dieses so genannte „Ritzen“ findet vorwiegend an Armen und Beinen sowie im Bereich von Brust und Bauch statt. Aber auch Verbrennung oder Verätzungen können vorkommen.
Bemerken Eltern selbstverletzendes Verhalten bei ihrem Kind, sollten sie sich zuerst ausführlich über diese Problematik informieren, bevor sie das Gespräch mit dem Nachwuchs suchen. „Im Umgang mit selbstverletzendem Verhalten bei Kindern sollten sie möglichst nicht geschockt reagieren und keinesfalls Vorwürfe oder Drohungen aussprechen. Es sollte unbedingt vermieden werden, das Kind unter Druck zu setzen, denn das könnte die Situation weiter verschärfen. Eltern sollten sich am besten im Vorfeld eines Gesprächs mit dem Kind beraten lassen, wie die Situation am besten angegangen werden kann. In akuten Krisensituationen können sich Eltern an einen Kinder- und Jugendpsychiater wenden“, rät Dr. Ingo Spitczok von Brisinski vom Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e. V. (BKJPP) mit Sitz in Mainz. Professionelle Unterstützung kann Eltern auch dabei helfen, dass sie sich mit der Situation weniger überfordert und hilflos fühlen.
Warnsignal für tiefergreifende Probleme
Selbstverletzung ist grundsätzlich ein ernst zu nehmendes Warnsignal und oft Anzeichen psychischer Probleme. „Selbstverletzung ist für die Betroffenen häufig ein Mittel gegen inneren Druck oder schmerzhaft erlebte Emotionen. Durch Zufügen körperlicher Schmerzen wird versucht, Erleichterung von seelischen Schmerzen zu erhalten. Unangenehme Gedanken oder Gefühlszustände können dadurch zumindest kurzfristig beendet werden“, erklärt Dr. Spitczok von Brisinski. „Jugendliche mit psychischen Störungen oder Problemen haben ein besonders hohes Risiko, selbstverletzendes Verhalten zu entwickeln.“ Selbstverletzung ist kein eigenständiges Krankheitsbild sondern Symptom einer psychischen Störung oder Erkrankung. Neben Erkrankungen wie Depressionen, Ess-, Zwangs- oder Angststörungen können auch mangelndes Selbstwertgefühl, die Unfähigkeit, Gefühle auszudrücken und schwach ausgeprägte Selbstregulierungskräfte ursächlich sein. Besonders häufig kommt es im Rahmen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zu Selbstverletzungen.
Alternative Bewältigungsstrategien können erlernt werden
Für die professionelle Therapie durch einen Kinder- und Jugendpsychiater stehen mehrere Möglichkeiten beziehungsweise therapeutische Verfahren zur Verfügung. Sie richten sich nach der Grunderkrankung oder Störung. „Eine kognitive Verhaltenstherapie kann junge Menschen dabei unterstützen, neue konstruktivere Bewältigungsstrategien auf belastende Situationen und Gefühlszustände zu entwickeln. Sie kann auch dabei helfen, Auslösesituationen zu identifizieren“, ergänzt Dr. Spitczok von Brisinski. „Entscheidend für den Therapieerfolg ist die Motivation des Kindes oder Jugendlichen, das Verhalten zu ändern. Ist der Jugendliche zunächst nicht einverstanden mit einer Therapie, muss zunächst eine Behandlungsmotivation erarbeitet werden.“ Die Psychotherapie kann durch eine medikamentöse Behandlung unterstützt werden, wenn stark depressive oder zwanghafte Merkmale oder eine Angsterkrankung vorliegen.
In Deutschland zeigen etwa 4 Prozent der Jugendlichen wiederholt Selbstverletzendes Verhalten (repetitives SVV).
Quelle: Neurologen und Psychiater im Netz
Internet: www.psychiater-im-netz.org
Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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