Die Verbraucherorganisation foodwatch hat Winfried Kretschmann mit dem Goldenen Windbeutel ausgezeichnet. Baden-Württembergs Ministerpräsident erhält den Negativpreis für die dreisteste Werbelüge stellvertretend: Sein Land ist seit Anfang des Jahres mittelbarer Teilhaber des Kindernahrungsherstellers Alete. Die Marke vertreibt Produkte als babygerecht, die Kinderärzte als ungeeignet für Babys einstufen.
Die Landesregierung in Stuttgart selbst rät von dem Verzehr ausdrücklich ab – profitiert aber vom Verkauf der Produkte. Im Herbst 2014 waren die Alete-„Mahlzeiten zum Trinken ab dem 10. Monat“ in einer Internetabstimmung mit mehr als 150.000 Teilnehmern zur Werbelüge des Jahres gewählt worden – damals gehörte Alete noch zu Nestlé. foodwatch wird heute in Stuttgart versuchen, den Goldenen Windbeutel an die Regierung Kretschmann weiterzureichen.
Nachdem die geplante Preisverleihung in der vergangenen Woche bekannt wurde, hatte sich die Landesregierung für nicht zuständig erklärt. foodwatch kritisierte dies als Versuch, sich aus der Verantwortung zu stehlen, schließlich sind die landeseigene L-Bank, die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sowie eine LBBW-Tochter am Haupteigner des Kindernahrungsherstellers Alete direkt beteiligt. „Es geht um Babyprodukte, die für Babys nicht geeignet sind. Unsere Forderung an Alete: Die Produkte vom Markt nehmen – unsere Forderung an Herrn Kretschmann: Einfluss geltend machen, damit dies geschieht. Wenn sich die Produktpolitik nicht ändert, dann darf sich das Land auch nicht mittelbar an einem unverantwortlich agierenden Unternehmen beteiligen. Herr Kretschmann ist dem Gemeinwohl verpflichtet, handelt aber nicht danach“, erklärte Oliver Huizinga, Experte für Kinderlebensmittel bei foodwatch.
Unter www.foodwatch.de/alete-aktion können Verbraucher eine E-Mail-Aktion an Alete und Ministerpräsident Kretschmann unterstützen – die Forderung: Unter der Marke sollen nur noch babygerechte Produkte verkauft werden.
E-Mail-Aktion an Alete und Ministerpräsident Kretschmann >>
Oliver Huizinga: „Offenbar leidet die Regierung Kretschmann an kognitiver Dissonanz: Sie redet davon, wie wichtig die Ernährung für Kinder ist, sie rät ausdrücklich von Trinkbreien ab, gleichzeitig profitiert das Land aber vom Verkauf genau solcher Produkte. Das ist inakzeptabel.“
In der Online-Wahl der dreistesten Werbelüge des Jahres 2014 war die Alete „Mahlzeit zum Trinken ab dem 10. Monat“ mit großem Vorsprung als „Gewinner“ hervorgegangen – mehr als 72.000 von rund 158.000 Stimmen entfielen auf das Produkt. foodwatch verlieh dem damaligen Eigentümer Nestlé im Oktober den Goldenen Windbeutel. Dieser jedoch ließ das Produkt unverändert auf dem Markt. Im Zuge des Eigentümerwechsels erneuerte foodwatch seine Kritik gegenüber der neuen Alete-Geschäftsführung, dem Mehrheitseigner (der BWK GmbH Unternehmensbeteiligungsgesellschaft, an der L-Bank, LBBW und eine LBBW-Tochter beteiligt sind), sowie gegenüber Ministerpräsident Kretschmann. Dessen Staatsministerium teilte die Kritik ausdrücklich: In einem Schreiben an foodwatch von Ende 2014 heißt es, Produkte wie die fraglichen Alete-Breie würden „nicht empfohlen“. Das Staatsministerium versprach, über die Aufsichtsräte aktiv zu werden „mit dem Ziel einer verbraucherfreundlichen Lösung“ – offenbar ohne Ergebnis. Bis heute sind die Trinkmahlzeiten unverändert im Handel und werden weiterhin fälschlicherweise wie babygerechte Produkte vermarktet.
Kinderärzte kritisieren seit langem, dass Trinkbreie Karies, Überfütterung und ein ungesundes Essverhalten fördern können. Das baden-württembergische Verbraucherschutzministerium schreibt in einer Broschüre explizit über Mahlzeiten zum Trinken: „Diese flüssigen Breie eignen sich auf Grund der Vielfalt der Geschmackszutaten und des etwas höheren Energiegehalts weder für Säuglinge noch für das ältere Kind. Milchzahnkaries, aber vor allem schlechtes Essverhalten können die Folge sein.“ (Quelle: tinyurl.com/lmguunx, S. 11). Zahlreiche ärztliche und ernährungswissenschaftliche Fachgesellschaften raten ausdrücklich von Trinkbreien für gesunde Säuglinge ab: die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE), die Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) und die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ).
Im Alete-Sortiment befinden sich weitere Produkte, von denen Experten und auch die baden-württembergische Landesregierung selbst ausdrücklich abraten (eine Übersicht siehe http://tinyurl.com/kzn72pf).
foodwatch forderte das Land auf, sicherzustellen, dass im Falle einer fortgesetzten Beteiligung an Alete unter dieser Marke nur solche Produkte für Babys angeboten werden, die auch tatsächlich babygerecht sind. Zudem solle die Regierung Kretschmann eine Bundesratsinitiative starten mit dem Ziel einer gesetzlichen Vorgabe, nach der Babyprodukte künftig grundsätzlich im Einklang mit den wissenschaftlichen Empfehlungen sein müssen.
Quelle: foodwatch e.V. – Internet: www.foodwatch.de
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