Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung: Wenn Kinder auffällig unruhig und unaufmerksam sind
(ams). Zu Beginn eines jeden Jahres steht für Eltern eine der wichtigsten Entscheidungen an, die sie für ihr Kind treffen. Soll ich mein Kind schon jetzt in die Schule schicken, obwohl es dann erst fünf Jahre alt ist? Oder soll ich noch ein Jahr warten? In den ersten beiden Monaten laufen in der Regel die Anmeldeverfahren für die Grundschule. Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat jetzt herausgefunden, dass gerade die jüngeren Kinder eines Schuljahrgangs besonders häufig wegen einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, in Behandlung sind.
Der WIdO-Auswertung zufolge ging im Jahr 2012 mehr als jedes zweite Kind im Vorschulalter und 46 Prozent der Grundschulkinder wegen der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung zu einem Heilmitteltherapeuten. Jedes dritte Kind im Grundschulalter erhielt bereits Medikamente zur Behandlung der ADHS.
Wenn Kinder andauernd in Bewegung sind, nicht zur Ruhe kommen und Schwierigkeiten haben, sich auf eine Sache zu konzentrieren oder Aufgaben immer wieder ungelöst abbrechen, kann eine ADHS dahinterstecken. „Die Hauptsymptome sind Unaufmerksamkeit, ständige Unruhe und Impulsivität“, erklärt Dr. Christiane Roick, stellvertretende Leiterin des Stabs Medizin und Ärztin im AOK-Bundesverband. Fünf Prozent der Drei- bis 17-Jährigen erhielten in ihrem bisherigen Leben schon einmal eine ADHS-Diagnose, wie die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS-Studie) des Robert-Koch-Instituts zeigt.
Nicht jedes zappelige Kind hat ADHS
„Aber nicht jedes leicht ablenkbare oder zappelige Kind hat ADHS“, sagt Roick. Sie empfiehlt, bei Verdacht auf die Störung einen Kinder- und Jugendarzt oder einen Kinder- und Jugendpsychiater aufzusuchen. Die Diagnose wird gestellt, wenn die Auffälligkeiten
schon im Vorschulalter auftreten,
länger als sechs Monate anhalten,
über das hinausgehen, was durch das Alter und den Entwicklungsstand erklärbar ist,
zu deutlichen Beeinträchtigungen führen und in mehreren Lebensbereichen auftreten, etwa in der Schule und in der Familie.
Jungen sind deutlich häufiger von ADHS betroffen als Mädchen. Im Jahr 2012 wurde bei rund zehn Prozent der AOK-versicherten neun- bis elfjährigen Jungen ADHS diagnostiziert, aber nur bei rund vier Prozent der gleichaltrigen Mädchen. „Wichtig ist, die Störung frühzeitig zu erkennen und zu behandeln“, sagt AOK-Medizinerin Roick.
Steht die Diagnose fest, beginnt die Therapie zunächst mit einer Beratung der Eltern und des Kindes. Diese erhalten Informationen über das Krankheitsbild und Behandlungsmöglichkeiten sowie Tipps zum Umgang mit alltäglichen Problemen. Zudem können im Rahmen der multimodalen Therapie verhaltenstherapeutische Techniken eingesetzt werden, um beispielsweise positives Verhalten des Kindes durch Belohnungen zu verstärken. Ergänzend können auch Elterntrainings oder Interventionen im Kindergarten beziehungsweise der Schule hilfreich sein.
Verordnung von Medikamenten hat zugenommen
Wenn diese Maßnahmen nach mehreren Wochen oder Monaten keinen Erfolg zeigen, die Krankheitssymptome nach wie vor sehr ausgeprägt sind und das Kind erhebliche Probleme hat, kann zusätzlich eine medikamentöse Therapie sinnvoll sein. Laut WIdO-Analyse nahm die Zahl der Verordnungen von Medikamenten gegen ADHS in der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen 1999 und 2013 stark zu. Im vergangenen Jahr erhielten knapp 43 Prozent der AOK-versicherten Kinder und Jugendlichen mit einer ADHS-Diagnose spezifische Medikamente. Bei 13- bis 15-jährigen Jungen mit ADHS waren es sogar 60 Prozent, bei Mädchen in dieser Altersgruppe fast 45 Prozent. Bei Jüngeren standen dagegen Heilmittelbehandlungen wie Ergotherapie im Vordergrund.
Am häufigsten kommt der Wirkstoff Methylphenidat zum Einsatz, der unter anderem in dem ADHS-Medikament Ritalin enthalten ist. Bei der Einnahme von Methylphenidat sind Nebenwirkungen möglich, etwa Schlafstörungen und ein verminderter Appetit. Da auch das Herz-Kreislauf-System von Nebenwirkungen betroffen sein kann, müssen vor der Verordnung bestimmte Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgeschlossen werden und während der Therapie muss der Herz-Kreislauf-Status überwacht werden. Da auch das Wachstum beeinträchtigt werden kann, sollten Körpergröße und Gewicht des Kindes regelmäßig kontrolliert werden.
Nutzen der Medikamente regelmäßig neu bewerten
„Bei einer länger als ein Jahr dauernden Methylphenidatverordnung sollte der Nutzen des Medikaments regelmäßig neu bewertet werden. Dazu sollten mindestens jährlich behandlungsfreie Zeitabschnitte eingelegt werden, in denen das Verhalten des Patienten ohne das Medikament beurteilt und anschließend über die weitere Verordnungsnotwendigkeit entschieden wird“, rät AOK-Ärztin Roick.
Klare Regeln geben Orientierung
Der Umgang mit einem hyperaktiven Kind, das sich schlecht konzentrieren kann, ist oft sehr anstrengend. Damit sich die Verhaltensprobleme nicht weiter verstärken, ist es wichtig, dass Eltern Verständnis für die Schwierigkeiten ihres Nachwuchses haben und dem Kind gleichzeitig mit klaren Regeln Halt und Orientierung geben. „Oft ist es auch hilfreich, die Fernseh- und PC-Zeiten der Kinder zu beschränken und sie stattdessen zu einem Spaziergang oder sportlichen Aktivitäten zu animieren“, sagt Roick.
Die Ärztin gibt Tipps, wie Eltern ihrem Kind helfen und die Beziehung verbessern können:
Stellen Sie wenige, aber klar formulierte Regeln auf und wenden Sie diese konsequent an.
Loben Sie Ihr Kind, wenn es sich bemüht und an wichtige Regeln hält. Auch kleine Belohnungen können Ihr Kind motivieren, sich an die vereinbarten Regeln zu halten. Verstöße sollten dagegen umgehend Konsequenzen haben.
Versuchen Sie, Probleme vorherzusehen, und überlegen Sie, wie Sie damit umgehen und die Übersicht behalten.
Begrenzen Sie die Zeit, die das Kind mit elektronischen Medien verbringt.
Nehmen Sie sich immer wieder Zeit, um mit Ihrem Kind zu spielen oder etwas gemeinsam zu unternehmen, was allen Spaß macht.
Denken Sie auch an Ihre eigenen Bedürfnisse und tun sie regelmäßig etwas für sich selbst, um wieder Kraft für den Alltag zu schöpfen.
Quelle: ams-Ratgeber 11/14
Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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