Mit der Kälte wächst die Gefahr: In den Wintermonaten erkranken besonders viele Kinder an einem durch Rotaviren ausgelösten Brechdurchfall, manche müssen sogar ins Krankenhaus. Seit Mitte 2013 empfiehlt die Ständige Impfkommission STIKO die generelle Impfung aller gesunden Säuglinge gegen die hoch ansteckenden Erreger. Die Stiftung Kindergesundheit ermutigt alle jungen Familien, ihr Baby möglichst früh, das heißt schon ab der sechsten Woche nach der Geburt gegen die tückischen Durchfallerreger impfen zu lassen.
Rotaviren sind in Europa jedes Jahr für rund 3,6 Millionen Durchfallerkrankungen bei Kindern verantwortlich. Mit weltweit jährlich etwa 453.000 Todesfällen sind die Erreger bei Kindern unter fünf Jahren die dritthäufigste Todesursache in Entwicklungsländern.
In Deutschland ist das Sterberisiko mit jährlich ein bis zwei Fällen zwar gering, die Erkrankungshäufigkeit aber ebenfalls beträchtlich, berichtet Professor Dr. Johannes G. Liese, Leiter der Pädiatrischen Infektiologie und Immunologie an der Universitäts-Kinderklinik Würzburg: „Durchfallerkrankungen durch Rotaviren sind bei Säuglingen und Kleinkindern weit verbreitet. Bis zum Alter von zwei Jahren haben bereits bis zu 90 Prozent aller ungeimpften Kinder eine Infektion durchgemacht. In den zehn Jahren zwischen 2001 und 2011 wurden in Deutschland über 600.000 Durchfallerkrankungen durch Rotavirus gemeldet, von denen die Hälfte in einem Krankenhaus behandelt werden musste. Damit ist Rotavirus-Durchfall bei Kindern unter fünf Jahren die häufigste meldepflichtige und durch eine Impfung zu verhindernde Erkrankung“.
Vor Einführung der Impfung kam es bei Säuglingen und Kleinkinder zu etwa 25.000 bis 50.000 Rotavirus-Erkrankungen pro Jahr. Bis 2013 war somit Rotavirus-Durchfall die dritthäufigste meldepflichtige Infektionserkrankung überhaupt. Die tatsächliche Anzahl der Infektionen dürfte dabei noch wesentlich höher liegen, denn nur bei einem kleinen Teil der erkrankten Kinder werden die Rotaviren tatsächlich im Stuhl untersucht und auch gemeldet.
Meistens werden die Durchfallerreger durch die mit Stuhl verschmierten Hände übertragen, so auch Gemeinschaftshandtücher und Oberflächen, die ein infektiöser Patient mit den Händen berührt hat(z. B. auch in Kindergärten). Rotaviren gelten als extrem ansteckend: In einem Milliliter Kinderstuhl können sich 100.000.000.000 (100 Milliarden!) Viren befinden – zehn davon reichen schon zur Infektion. Möglich ist die Ansteckung auch – wie bei einer Erkältung – durch Husten, Niesen und Speichel oder über Gegenstände, wie Kinderspielzeug.
Gefahr fürs Baby durch Austrocknen
Eine Infektion durch Rotaviren beginnt meist mit heftigem Erbrechen, dem dann kurz darauf schleimig-wässriger, häufig grünlicher und stinkender Durchfall folgt. Mehr als zwanzig Brech- oder Durchfallepisoden pro Tag sind möglich. Mit dem flüssigen Stuhl werden auch lebenswichtige Körpersalze (so genannte Elektrolyte) aus dem Körper des Babys geschwemmt, was im extremen Fall zu Organversagen führen kann. Der Durchfall dauert in der Regel zwei bis sechs Tage.
Die Schwere der Erkrankung reicht vom harmlosen Verlauf mit nur milden Beschwerden bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen. Das ist der Fall, wenn der Körper aufgrund des hohen Wasser- und Salzverlustes durch Erbrechen und Durchfälle regelrecht austrocknet. Das Gefährliche dabei laut Stiftung Kindergesundheit: Auch eine zunächst harmlos erscheinende Rotavirus-Durchfallerkrankung kann aufgrund eines raschen Flüssigkeitsverlustes über Nacht plötzlich lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.
Dann ist eine sofortige Einlieferung des Kindes in die nächste Kinderklinik erforderlich, um dort die verlorene Flüssigkeit am Tropf wieder auszugleichen. Je jünger das Kind, umso größer ist das Risiko einer Entgleisung des Körpersalz-Haushaltes und eines hohen Flüssigkeitsverlustes mit möglicherweise schweren Folgen. „Es wird geschätzt, dass in Deutschland jährlich mindestens 20.000 Kinder unter fünf Jahren wegen einer Rotavirus-Infektion stationär aufgenommen werden, um die Flüssigkeits- und Elektrolytverluste zu ersetzen“, berichtet Professor Johannes Liese. „Etwa 50 dieser Kinder müssen wegen ihres bedrohlichen Zustandes sogar intensivmedizinisch betreut werden“.
Zwei Impfstoffe stehen zur Auswahl
Seit 2006 sind in Deutschland zwei Lebendimpfstoffe als Schluckimpfung gegen Rotaviren für Säuglinge bis zum Alter von sechs Monaten zugelassen. Je nach Impfstoff werden ab dem Alter von 6 Wochen zwei bzw. drei Dosen in einem Mindestabstand von 4 Wochen verabreicht. Aufgrund der Zulassungsstudien und den bisherigen Erfahrungen aus Ländern, können die beiden zugelassenen Schluckimpfstoffe in gleichem Maße etwa 90% Prozent der schweren akuten Brechdurchfälle durch Rotaviren mit Krankenhausaufenthalten verhindern.
Die sächsische Impfkommission (SIKO) empfiehlt die Rotavirus-Impfung bereits seit 2008 als Standardimpfung. Wenig später nahmen die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen die Rotavirus-Impfung in die Liste der empfohlenen Impfungen auf. „Die gute Wirksamkeit der Impfung konnte in Sachsen bereits eindeutig belegt werden“, freut sich Infektionsexperte Liese: „Dort kam es bereits zu einer über 50-prozentige Abnahme der Neuerkrankungen und Krankenhausaufnahmen durch Rotaviren. Auch andere Länder, wie z.B. die USA, Belgien und Österreich, die bereits seit längerer Zeit erfolgreich gegen Rotavirus impfen, berichten über ähnlich spektakuläre Erfolge“.
Die Impfung schützt auch Ungeimpfte
Eine zusammenfassende Analyse von 34 Studien mit über 150.000 Teilnehmern durch die weltweit tätige und unabhängige wissenschaftlichen Organisation „Cochrane Collaboration“ bestätigte die gute Wirksamkeit der Rotavirus-Impfstoffe bei der Verhütung von schweren Durchfallerkrankungen und von Rotavirus-bedingten Krankenhausaufenthalten. Erfreulicherweise wird dadurch auch das Risiko der besonders gefürchteten, im Krankenhaus von einem zum anderen Kind übertragenen Infektionen deutlich reduziert.
Überraschenderweise profitieren aber nicht nur die geimpften Babys von ihrem Impfschutz, sagt Professor Liese: „Einen Rückgang der Infektionen gibt es auch in der Altersgruppe der Jugendlichen zwischen elf und 18 Jahren. Die Impfung vermittelt allem Anschein nach einen so genannten Herdenschutz, d.h. die Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung wird insgesamt vermindert“.
Ein erfreulicher Zusatznutzen der Impfung bei Erkrankungen, die auf den ersten Blick mit dem Darm nichts zu tun haben, wurde bei der Analyse der Daten von 250.000 Kindern in einer US-amerikanischen Studie entdeckt, berichtet Professor Liese: „Bei den geimpften Kindern kam es im Jahr nach der Impfung zu 19 Prozent weniger Notfallbehandlungen und Krankenhausaufnahmen aufgrund von Krampfanfällen. Solche Komplikationen des Hirns bei Infektionen durch Rotaviren sind zwar immer wieder beschrieben worden, sind jedoch in der Öffentlichkeit kaum bekannt“.
Eltern sollten auch die Risiken kennen
In den USA wurde bereits 1998 der erste Impfstoff gegen Rotaviren eingeführt, der allerdings aus Sicherheitsgründen wieder vom Markt genommen wurde: Nachdem mehr als eine Million Kinder erfolgreich geimpft worden waren, entdeckte man unter den geimpften Kindern mehr Fälle der seltenen Komplikation Invagination (Darmeinstülpung), als es zu erwarten war. Bei einer Darminvagination schiebt sich ein Darmabschnitt in einen anderen hinein, blockiert damit den Weitertransport des Stuhls und unterbricht die Blutzufuhr.
„Bei den beiden, heute zugelassenen Impfstoffen ist dieses Risiko zwar wesentlich niedriger, aber nach aktuellen Beobachtungsstudien immer noch geringfügig erhöht“, stellt Professor Liese fest: „Bei 100.000 geimpften Kindern muss man mit ein bis zwei zusätzlichen Fällen rechnen“.
Zur richtigen Einschätzung des Risikos für ihr Kind sollten Eltern wissen: Auch ohne die Impfung kommt es in Deutschland jährlich zu rund 120 bis 150 Invaginationen bei Säuglingen in den ersten drei Monaten nach der Geburt. Mit der Impfung könnten bei etwa 600.000 geimpften Babys etwa 6 bis 12 mehr Fälle auftreten. Damit überwiegt der Nutzen der Impfung bei weitem diesem geringen Risiko.
Die Zeichen einer Invagination sind starke Bauchschmerzen, anhaltendes Erbrechen, blutige Stühle und Fieber. Das Kind schreit mit schrillen Tönen, lässt sich nicht beruhigen und zieht die Beine an. Treten diese in den ersten Tagen nach Impfung auf, muss das Kind unverzüglich einem Arzt oder in einer Kinderklinik vorgestellt werden, unterstreicht Professor Liese.
Schon bald nach der Geburt impfen
Das Robert-Koch-Institut Berlin ermittelte in einer Modellrechnung die Größenordnung des Invaginationsrisikos: Wären 80 Prozent aller 659.000 im Jahr 2012 geborenen Babys gegen Rotaviren geimpft worden sein, hätte es fünf bis zehn Fälle mehr an Darmeinstülpungen gegeben. Die Schluckimpfung hätte gleichzeitig 18.250 Babys die Einlieferung in ein Krankenhaus erspart, 31.000 Babys hätten keine ärztliche Behandlung benötigt und 224.036 Babys wären von einem Brechdurchfall durch Rotaviren verschont geblieben.
Die Stiftung Kindergesundheit unterstreicht: Die Impfserie sollte möglichst frühzeitig, also schon sechs bis acht Wochen nach der Geburt beginnen, da das Risiko einer Invagination mit dem Alter der Impflings zunimmt. Beide Impfstoffe sind vergleichbar gut verträglich und können gleichzeitig mit der Sechsfachimpfung und Pneumokokken-Impfung gegeben werden.
Die heimtückischen Viren gefährden übrigens beileibe nicht nur die Gesundheit von Babys und Kleinkindern: 21,8 Prozent der 2013 den Robert-Koch-Institut gemeldeten Rotavirus-Infektionen betrafen Frauen und Männer über 69 Jahren. Unter den zehn bestätigten Todesfällen im Zusammenhang mit durch Rotaviren ausgelösten Durchfallerkrankungen war nur einmal ein Baby betroffen: Die anderen neun Opfer waren zwischen 55 und 94 Jahre alt.
Professor Johannes Liese spricht sich daher uneingeschränkt für die Rotavirus-Impfung aus: „Der Nutzen des Impfschutzes überwiegt ganz klar die möglichen Nachteile. Von der Impfung profitiert die ganze Familie. Dem Kind bleiben Schmerzen und Komplikationen erspart, der Familie die Angst und Sorge um das Kind. Die Impfung erspart den Eltern die Belastungen durch Pflege und Betreuung des kranken Kindes, sowie eines möglichen Krankenhausaufenthaltes.“
Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: www.kindergesundheit.de
Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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