Risiko von Hörschäden – Kinder und Teenager besser vor Lärm schützen!
Wer etwas nicht sehen mag, kann die Augen schließen. Mit den Ohren geht das nicht: Sie sind Tag und Nacht auf Empfang geschaltet und der zunehmenden Belastung durch Alltagslärm schutzlos ausgeliefert. Die Folgen können verheerend sein: Schon heute leiden etwa 14 Millionen Bundesbürger, also etwa jeder sechste, unter Hörschäden. Im Alter über 65 Jahren haben 34 Prozent aller Deutschen Hörschwierigkeiten. Dieses Schicksal droht aber auch schon Kindern und Jugendlichen, warnt die in München beheimatete Stiftung Kindergesundheit: Nach aktuellen Schätzungen dürfte schon bald jeder fünfte Jugendliche im Alter von 20 Jahren so schwerhörig sein wie sein Großvater!
Untersuchungen des Umweltbundesamtes (UBA) zum Problem Lärm bei 1.048 Kindern im Alter von acht bis 14 Jahren haben ergeben: Es besteht bereits beim jeden achten Kind eine auffällige Minderung der Hörfähigkeit. Die Ergebnisse sind alarmierend:
- 12,8 Prozent der Kinder weisen bei hohen und mittleren Tönen (Frequenzbereich eins bis sechs Kilohertz) eine auffällige Hörminderung von mehr als 20 Dezibel (dB) auf mindestens einem Ohr auf.
- Berücksichtigt man nur die Tonhöhen, bei denen sich lärmbedingte Hörverluste zeigen (Frequenzbereich vier bis sechs Kilohertz), so sind 10,6 Prozent der Kinder betroffen. Jungen hören bei diesem Test schlechter als Mädchen.
- 11,4 Prozent der Kinder berichten über vorübergehende Ohrgeräusche (Tinnitus) nach dem Hören lauter Musik.
Die meisten Erwachsenen hassen Lärm. Kinder und Jugendliche lieben ihn, den meisten von ihnen kann die Lieblingsmusik nicht laut genug sein. 44,6 Prozent der Acht- bis Zehnjährigen und 70,3 Prozent der Elf- bis 14-Jährigen hören Musik aus MP3-Playern und anderen Abspielgeräten mit Kopfhörern. Bei den Älteren beträgt die durchschnittliche Hördauer eine halbe Stunde pro Tag. Fünf Prozent von ihnen hören jedoch täglich mindestens zwei Stunden Musik über Kopfhörer. Besonders bedenklich: 23,5 Prozent der Gerätebenutzer geben an, die Musik laut zu hören, wobei 11,4 Prozent von ihnen den Lautstärkeregler immer am oberen Anschlag haben.
Wie Lärm das Gehör ruiniert
Im Innenohr übersetzen feinste Sinneshärchen den Schall in Nervenimpulse. Ist die Lärmbelastung zu groß, knicken die filigranen Härchen wie gemähte Grashalme. Ist der Krach nur kurz, können sie sich zwar wieder erholen, bei anhaltendem Lärm werden jedoch mehr und mehr Härchen für immer geschädigt. Die Folge:
- Hohe Töne werden kaum noch oder gar nicht mehr wahrgenommen.
- Es können Dauer-Hörgeräusche wie Summen oder Ohrenpfeifen entstehen.
- In lärmerfüllter Umgebung, zum Beispiel in einer Gesprächsrunde können einzelne Stimmen oder Geräusche nur noch schwer herausgehört werden.
Ein Hörverlust entsteht aber nicht plötzlich, sondern schleift sich im Laufe der Jahre allmählich ein, sagt Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit: „Deshalb nehmen die betroffenen Kinder und Jugendliche ihre wachsende Schwerhörigkeit oft nicht bewusst wahr. Sie gewöhnen sich mit der Zeit an das langsame Schwinden ihrer Hörfähigkeit“.
Doch nicht nur das Gehör leidet: „Kinder, die einer ständigen Lärmkulisse von mehr als 68 Dezibel ausgesetzt sind, zeigen typische Zeichen einer Beeinträchtigung des vegetativen Nervensystems“, so Professor Koletzko. „Ihr Organismus schüttet vermehrt das Stresshormon Adrenalin aus. Die Folge: Die Durchblutung der Haut nimmt ab, die Muskelspannung steigt und Stoffwechselreaktionen werden beschleunigt“. Die Folgen des Lärms können neben Höreinbußen Bluthochdruck, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen auch ein erhöhtes Herzinfarktrisiko sein.
Bei dauerndem Lärm ermüden Kinder schneller, sind zerstreut und können sich nur noch schwer konzentrieren. Lärmbelastete Kinder haben schlechtere Leistungen beim Lesen lernen und geben bei Denkaufgaben schneller auf als ihre Altersgenossen.
Wie laut ist zu laut?
Die Stärke der Lärmbelastung lässt sich an folgenden Beispielen abschätzen:
- Kann man sich bei einer Distanz von einem Meter zwischen Sprecher und Hörer in normaler Lautstärke unterhalten, beträgt die Schallintensität höchstens 70 Dezibel.
- Ist die Verständigung nur mit erhobenen Stimmen möglich: 80 dB.
- Wird die Verständigung auch mit Rufen schwierig: 90 dB.
- Gelingt Verständigung nur noch mit größtem Stimmaufwand: 100 dB.
- Ab 105 dB ist keine Verständigung mehr möglich.
Viele Menschen können schon von Lärmpegeln von etwa 85 Dezibel aufwärts einen Lärmschaden erleiden, wenn die Geräusche über längere Zeit auf das Ohr einwirken. Zum Vergleich: So laut ist der Lärm eines Lastwagens in fünf Metern Entfernung. Ein Staubsauger erzeugt 70 dB, auf einer befahrenen Straße werden 80 dB gemessen.
Die Erhöhung eines Geräuschpegels um 10 dB wird subjektiv als Verdoppelung der Lautstärke empfunden, rechnet die Stiftung Kindergesundheit vor. Aus den Kopfhörern der Abspielgeräte wird das Ohr mit durchschnittlich 95 dB belastet, jeder dritte Jugendliche beschallt sich aber mit Schalldruckpegeln von über 110 dB.
Auch im Kino ist es oft zu laut
Bei Nutzung eines MP3-Players bei 89 dB für mehr als fünf Stunden in der Woche über einen Zeitraum von fünf Jahren und mehr muss mit einer Erhöhung des Risikos eines irreversiblen Gehörschadens gerechnet werden. Bei Rockkonzerten werden im Zuhörerbereich zwischen 95 und 105 dB gemessen, in Diskotheken beträgt der gemessene Schallpegel zwischen 96 und 105 dB und auch im Multiplex-Kino mit Dolby-Surround-Soundsystem sind wirklich leise Töne eher selten.
Aber nicht nur laute Musik gefährdet das Gehör. Auch Motorräder und Lastwagen, Flugzeuge, Rasenmäher und Laubbläser setzen tagtäglich den Ohren zu. 16,5 Prozent der Kinder wohnen an stark befahrenen Haupt- oder Durchgangsstraßen.
Das Kinderzimmer ist bei rund der Hälfte der Kinder zur Straße hin ausgerichtet. Die Lärmbelastung in Schulklassen sollte zwar laut Verordnung 57 Dezibel nicht überschreiten, tatsächlich gemessen werden aber bis zu 75 Dezibel – das ist die Lautstärke eines vorbeifahrenden Lastwagens.
Impulsartige Geräusche wie der Knall einer Spielzeugpistole oder eines Silvesterböllers können in Sekundenbruchteilen die Hörsinneszellen im Innenohr schädigen. Auch Knackfrösche, Spielzeugtrompeten oder Trillerpfeifen entwickeln extreme Lautstärken und können zu einem „Knalltrauma“ führen. Ein einmal beschädigtes Gehör ist aber irreparabel – weder Medikamente noch Operationen können an einem Hörschaden etwas ändern, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit.
Gehör schützen – aber wie?
Diskotheken kann man nicht verbieten und man kann Kindern und Halbwüchsigen auch die Kopfhörer nicht vom Kopf reißen. „Doch genauso, wie man sie vor den Folgen des Rauchens und des Alkohols warnt, sollte man Kinder auch vor den Gefahren großer Lautstärken warnen“, unterstreicht Professor Koletzko. „Besonders wichtig ist der sparsame Umgang mit dem Lärm in den eigenen vier Wänden. Die ständige Berieselung mit Hintergrundmusik sollten Familien genauso auf den Prüfstand stellen wie das ständig laufende Fernsehgerät, das keine vernünftigen Gespräche entstehen lässt. Man braucht wirklich keine Musik, wenn man nicht zuhört und auch kein Fernsehgerät als ‚Kulisse’, wenn nichts Vernünftiges läuft“.
Die Stereoanlage und andere häusliche Schallquellen wie Fernseher oder Spielkonsolen sollten nicht bis zum Anschlag aufgedreht werden. Für den MP3-Player gilt: Nicht zu oft und nicht zu laut. Eine Stunde Musik aus dem Kopfhörer am Tag sollte die Grenze sein, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. Faustregel: Nach einer Belastungsphase muss den Ohren die doppelte Zeit Ruhe gegönnt werden: Nach fünf Stunden Disco also mindestens zehn Stunden Ruhe.
Um einen ungestörten Schlaf zu gewährleisten, sollten die Verkehrsgeräusche im Schlafraum des Kindes einen Dauerschallpegel von 30 dB und Maximalpegel von 40 dB nicht überschreiten. Dem passiven Schutz vor Lärm dienen Schallschutzfenster mit Isoliergläsern oder Schalldämmgläsern. Aber auch schon doppelverglaste Fenster können zumindest den Nachtschlaf vor Straßenlärm schützen. Tempo 30 in den Wohnstraßen mindert den Lärm um mindestens 30 Prozent.
Die in den ersten Lebensjahren entstandenen Gehörschäden beeinträchtigen nicht nur die persönliche Entfaltung im Privatleben, sondern schränken auch die späteren Möglichkeiten der Berufswahl ein, hebt die Stiftung Kindergesundheit hervor. Heute kommt kaum jemand ohne Telefon aus. Wer schlecht hört, kann später kein Pilot oder Kameramann werden, da in solchen Berufen eine uneingeschränkte Kommunikationsfähigkeit unverzichtbar ist. Das gleiche gilt für Berufe mit Publikumsverkehr wie zum Beispiel Bankkauffrau, Versicherungskaufmann, Unternehmensberater, Lehrer oder Polizist.
„Lärm macht auf längere Sicht krank“, sagt Kinder- und Jugendarzt Professor Koletzko. „Wir alle sollten endlich mehr tun, um ihn gering zu halten!
Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: http://www.kindergesundheit.de/
Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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