Verbraucher

Mangelhafter Gesundheitsschutz: Wenn Babyprodukte den ärztlichen Empfehlungen widersprechen

Berlin, 25. September 2014. Viele als Babyprodukte angebotene Lebensmittel stehen im Widerspruch zu den ernährungswissenschaftlichen oder ärztlichen Empfehlungen für Säuglinge. Die Hersteller versprechen Eltern gesunde Produkte, tatsächlich können diese jedoch Überfütterung und Kariesbildung fördern oder Babys früh an einen hohen Zuckergehalt gewöhnen. Das hat die Verbraucherorganisation foodwatch heute in einer Pressekonferenz in Berlin kritisiert, unterstützt von Experten der Bundeszahnärztekammer sowie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Leipzig.


Ob Süßigkeiten speziell für Säuglinge, Schokoladen- und Keks-Brei ab dem 6. Monat oder Tee auf Zuckergranulatbasis: Was viele Lebensmittelhersteller als gesunde oder altersgerechte Nahrung für Babys und Kleinkinder empfehlen, wird diesem Anspruch oft nicht gerecht. Besonders deutlich wird dies bei den kohlenhydratreichen Trinkmahlzeiten: Wegen des Risikos der Überfütterung und Kariesbildung fordern Kinderärzte seit Jahren, die Vermarktung einzustellen. Während Danone darauf reagiert und seine unter der Marke Milupa verbreiteten Trinkmahlzeiten vom Markt genommen hat, bieten Hipp und Nestlé solche Produkte weiter an. Die von Nestlé mit allerlei Gesundheitshinweisen beworbene „Alete Mahlzeit zum Trinken“ ist auch einer von fünf Kandidaten bei der von foodwatch ausgerufenen Wahl zum Goldenen Windbeutel 2014, bei der Verbraucher unter www.goldener-windbeutel.de noch bis Ende September über die frechste Werbelüge des Jahres abstimmen können.

foodwatch sprach sich für eine gesetzliche Regelung aus, nach der nur noch solche Produkte als Säuglingsnahrung vermarktet werden dürfen, die den Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften entsprechen.

Prof. Dr. Wieland Kiess, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Leipzig: „Die Ernährung in den ersten Lebensmonaten ist prägend und beeinflusst das spätere Ernährungsverhalten eines Menschen. Deshalb ist es wichtig, eine zu starke Süßgewöhnung im Säuglingsalter zu vermeiden. Dem sollte Säuglingsnahrung Rechnung tragen.“

Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer: „Frühkindliche Karies in den ersten Lebensjahren ist in Deutschland auf dem Vormarsch. Schuld daran ist nicht zuletzt die häufige Gabe von süßen Getränken oder süßen Zwischenmahlzeiten, denn diese verursachen Karies schon an den ersten Zähnchen. Das hat langfristige Folgen: Kinder mit frühkindlicher Karies entwickeln auch im Erwachsenengebiss deutlich häufiger Karies.“

Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von foodwatch: „Wenn Lebensmittelhersteller Produkte wie Trinkmahlzeiten nicht nur anbieten, sondern auch noch als gesund bewerben, ist ihnen die Gesundheit der Kinder offenbar gleichgültig. Das lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Der Gesetzgeber muss durch strengere Vorgaben sicherstellen, dass nur noch solche Produkte als Babynahrung auf den Markt kommen, die im Einklang mit den kinder- und zahnärztlichen Empfehlungen sind.“

foodwatch-Produktcheck: Anspruch, Wirklichkeit und Empfehlungen für Säuglingsnahrung

Säuglingsnahrung unterliegt EU-weiten Bestimmungen, die in Deutschland in Form der Diätverordnung in nationales Recht umgesetzt sind. Darin ist geregelt, dass die „Zutaten“ der Produkte „für die besondere Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern geeignet“ sein müssen – für die Zusammensetzung der Zutaten gibt es jedoch oft keine adäquaten Vorgaben.

Die Hersteller von Säuglingsnahrung selbst formulieren hohe Ansprüche an ihre Produkte: Alete (Nestlé) bietet nach eigener Aussage „gesundheitlich unbedenkliche (…) Produkte für die sichere Ernährung“, Hipp stellt sich in die „Verantwortung für die natürliche und gesunde Ernährung“ von Babys, Milupa (Danone) verspricht Eltern „nur das Beste für ihr Kind“, bei Holle „stehen (…) Sicherheit und Qualität immer an erster Stelle“, „für eine gesunde Ernährung von Anfang an“, und Rossmann will mit seiner Marke Babydream „Vertrauen schaffen“ und für eine „ausgewogene Ernährung“ sorgen. Tatsächlich haben alle Hersteller Produkte im Sortiment, die zwar als babygerecht beworben, von Medizinern jedoch nicht für Säuglinge empfohlen werden:

Trinkmahlzeiten:
Hipp, Bebivita (ebenfalls Hipp) und Alete haben die Milch-Getreide-Mischungen im Sortiment. Experten kritisieren eine kohlenhydratreiche Flaschenfütterung wegen des Risikos der Überfütterung und der Kariesbildung. So fordert die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) bereits seit 2007 einen unverzüglichen Stopp der Vermarktung an gesunde Säuglinge. Diese sei „unverantwortlich und gefährdet die Kindergesundheit“, schrieb die Fachgesellschaft in einer Stellungnahme. Auch das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) sowie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) raten von Trinkmahlzeiten ab.

Kekse für Säuglinge:
Von Holle, Babydream (Rossmann), Alete und Hipp für Babys ab dem 8. Monat angeboten. Laut Herstelleraussagen sollen sie „hervorragend als Zwischenmahlzeit“ geeignet (Holle) und „ideal für kleine Hände“ sein, „mit wertvollem Bio-Getreide“ und „zum Knabbern für die ersten Zähnchen“ (Hipp). Die Kekse haben einen Zuckergehalt von 14,6 (Holle) bis 25 Prozent (Alete). Das von der Bundesregierung ins Leben gerufene Netzwerk „Gesund ins Leben“ empfiehlt jedoch „möglichst wenig Zucker“ für Babys. Die Bundeszahnärztekammer warnt, süße Zwischenmahlzeiten führten „zur Entwicklung einer frühkindlichen Karies“.

Babybrei mit Zuckerzusatz:
„Bei der Herstellung [von Beikost] sollte auf den Zusatz von Salz und Zucker verzichtet werden, um eine entsprechende Prägung des kindlichen Geschmacks zu vermeiden“, so die Empfehlung der Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). „Aromen sind überflüssig“, betonen das Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung und das Netzwerk „Gesund ins Leben“. Alle Ratschläge missachtet Danone: Der als gesund beworbene Milupa „Milchbrei Schoko ab dem 6. Monat“ enthält nicht nur synthetisches Vanillin-Aroma, sondern auch mehr als 9 Prozent Zucker im angerührten Brei. Ähnlich hohe Zuckergehalte stecken auch im Grießbrei der Sorten „Bourbon-Vanille“ und „Babykeks“ von Hipp sowie im „Grießbrei Vanille-Geschmack“ der Hipp-Tochter Bebivita.

Zuckergranulat-Tee für Kleinkinder:
„Babys und Kleinkinder sollten Wasser oder ungesüßte Kräutertees trinken“, so die unmissverständliche Empfehlung der Bundeszahnärztekammer. Hipp dagegen bietet unter seiner Marke Bebivita Instant-Tees auf Basis von Zuckergranulat an, empfohlen für Kleinkinder ab dem 12. Monat. Auch unter der Hauptmarke Hipp hatte der Hersteller lange solche Granulat-Tees im Sortiment – dafür gewann Hipp 2012 den „Goldenen Windbeutel“ und nahm die Produkte vom Markt. Als Ersatzprodukt brachte das Unternehmen klassische Teebeutel in den Handel – ohne Zuckerzusatz.

 

Wahl zum Goldenen Windbeutel:
www.goldener-windbeutel.de

 

 

Bild: foodwatch


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