Gesund essen ohne Fleisch – die Zahl der Menschen, die nach diesem Leitsatz leben, hat sich in den letzten 30 Jahren verzehnfacht. Schätzungsweise acht Prozent der Frauen und drei Prozent der Männer in Deutschland verzichten heute teilweise oder ganz auf Nahrungsmittel tierischen Ursprungs, viele von ihnen möchten auch ihre Kinder alternativ ernähren.
Das ist durchaus möglich und in vielen Fällen auch mit gesundheitlichen Vorteilen verbunden, stellt die Stiftung Kindergesundheit fest. Allerdings sollten vegetarisch lebende Mütter und Väter, die auch ihr neugeborenes Kind fleischlos aufziehen möchten, sich von Anfang an genau über die Bedürfnisse des Babys informieren und sich von seriösen Fachleuten beraten lassen, empfiehlt die in München beheimatete Stiftung in ihrer aktuellen Stellungnahme.
Ganz gleich ob sie aus ethisch-moralischen oder aus gesundheitlichen Gründen auf Fleisch verzichten: Erwachsene Vegetarier profitieren meist von dieser Entscheidung, sagt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit: „Die vegetarische Ernährung entspricht vielen Empfehlungen der modernen Ernährungswissenschaft: Sie ist in aller Regel weniger energiereich, bringt also weniger Kalorien auf die Waage. Sie enthält eine geringere Menge an den ungünstigen gesättigten Fettsäuren, an Cholesterin und tierischem Eiweiß, dafür mehr an Ballaststoffen und gesundheitlich vorteilhaften Antioxidantien“.
Bei Kindern müssen allerdings zwei wichtige Prinzipien beachtet werden, so der Münchner Kinder- und Jugendarzt: „Erstens: Je mehr Einschränkungen die gewählte Kostform beinhaltet, desto größer ist die Gefahr, dass sie zu einer Fehlernährung und dadurch zu Mangelerscheinungen führt. Und zweitens: Je kleiner ein Kind bei der Einführung einer einschränkender Ernährungsweise ist, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten einer Mangelerscheinung, die dem sich noch entwickelnden Organismus des Kindes Schaden zufügt“.
Schutz vor Fettsucht und Diabetes
Bei Vegetariern, die ihre pflanzliche Kost mit Milch, Milchprodukten und Eiern ergänzen („Lakto-ovo-Vegetarier“) gibt es nur selten Probleme. Auch die „lakto-vegetarische“ Ernährung, bei der zusätzlich auf den Genuss von Eiern verzichtet wird (sie wird von den Waerland-Anhängern praktiziert), kann eine vollwertige Kost sein. Kinder, die nach diesen Prinzipien ernährt werden, haben hinsichtlich ihren Wachstums und Entwicklung keine Beeinträchtigungen zu befürchten, betont Professor Koletzko: „Eine derartige Ernährung im Kindesalter ist nicht nur möglich, sondern besitzt sogar schützende Effekte vor der späteren Entwicklung von Fettsucht, Herzinfarkt und Diabetes“.
Eltern, die ihr Kind von Anfang an fleischfrei ernähren wollen, sollten folgende Empfehlungen der Stiftung Kindergesundheit beachten:
Das Kind sollte, wenn möglich, in den ersten vier bis sechs Monaten ohne Zufütterung gestillt werden. Auch kürzeres oder teilweises Stillen mit Zufütterung von Säuglingsanfangsnahrung ist sinnvoll.
Beikost sollte nicht vor dem Alter von 17 Wochen, also dem Beginn des fünften Monats und nicht später als mit 26 Wochen, also zu Beginn des siebten Lebensmonats eingeführt werden. An Stelle des allgemein empfohlenen ersten Gemüse-Kartoffel-Fleisch/Fisch-Breis kann das Baby einen vegetarischen Gemüse-Kartoffel-Getreide-Brei angeboten bekommen. Wird industriell hergestellte Gläschenkost verwendet, können vegetarische Gemüse-Vollkorn-Breie verwendet werden.
Weil der Organismus eines Babys das Eisen aus pflanzlicher Nahrung nur schlecht ausnutzen kann, ist eine Kombination aus eisenhaltigen und Vitamin C reichen Lebensmitteln notwendig. Empfehlenswert ist Orangensaft zur Mahlzeit. Durch die Zugabe von Vitamin C wird die Aufnahme des Eisens aus den pflanzlichen Lebensmitteln erheblich verbessert. Der fleischfreie Brei sollte keine Milch enthalten, weil durch Milch die Bioverfügbarkeit des Eisens in der Breimahlzeit vermindert wird.
Bei einem Mangel an Vitamin B12 sind ergänzende Vitamingaben nötig, sonst drohen schwere und bleibende Schäden des Nervensystems.
Auch im fleischfreien Haushalt sollte grundsätzlich jodiertes Speisesalz verwendet werden.
Vitamin B12 – das Problemvitamin der Veganer
Für die Kinder besonders strenger Vegetarier („Veganer“), deren Familien nicht nur Fleisch, sondern sämtliche von Tieren stammende Lebensmittel ablehnen, also auch Milch und Eier, kann die Situation kritisch werden. Der Mangel an Vitamin B12 (Cobalamin), Eisen, Eiweiß und Spurenelementen kann das Gedeihen stark beeinträchtigen. Manche Kinder bleiben im Wachstum hinter dem Normalen zurück und holen den entstandenen Längenunterschied auch später nicht mehr auf. Die Wachstumsverzögerung geht oft mit einer verspäteten Entwicklung der Motorik und der Sprache einher, es drohen schwere Entwicklungsstörungen. Je spartanischer die Lebensmittelauswahl, desto größer die Gefahr von Defiziten.
„Vitamin B12 ist lebensnotwendig für die DNA-Synthese und für die Zellteilung“, sagt Professor Koletzko: „Es kommt praktisch nur in Nahrungsmitteln tierischer Herkunft vor und wird damit zum Knackpunkt für Veganer und ihre Kinder. Ein Mangel an diesem wichtigen Vitamin führt zu Störungen der Blutbildung und in schweren Fällen zur
Degeneration von Nerven und zur Hirnatrophie“.
Tipp: Brei für Veggie-Babys
100 Gramm Karotten (oder Zucchini, Blumenkohl oder Broccoli) putzen und klein schneiden.
50 Gramm Kartoffeln schälen, klein schneiden und mit dem Gemüse in wenig Wasser weich dünsten.
10 Gramm Haferflocken (z. B. Instantflocken) zufügen und mit 30 Gramm Obstsaft oder –mus (z. B. Orangensaft) und 20 Gramm Wasser pürieren.
Anschließend acht Gramm Rapsöl in den Brei einrühren (Rapsöl enthält die nützlichen Omega-3-Fettsäuren). Diesen Brei kann man selbst zubereiten. Im Handel gibt es aber auch industriell hergestellte vegetarische Gemüse-Vollkorngetreide-Breie..
Mit zunehmender Verbreitung von alternativen Ernährungsformen werden die Kinderärzte häufiger mit solchen schwerwiegenden und früher kaum bekannten Mangelzuständen konfrontiert, berichtet die Stiftung Kindergesundheit. Sie führt als Beispiel den Fall eines kleinen Jungen an, über den vor kurzem auf einer Tagung der Sächsisch-Thüringischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in Gera Ärzte der Universitätskinderklinik Jena berichtet haben. Der bei seiner Klinikaufnahme 2 ½ Jahre alte Junge wurde von seiner streng vegan lebenden Mutter bis zum ersten Geburtstag ausschließlich gestillt. Danach bekam er strikt vegane Beikost aus Früchten und Mandelmilch gefüttert und wurde weiterhin mehrere Male am Tag gestillt. Obwohl seine Entwicklung bereits deutliche Defizite zeigte, haben die Eltern bis zum Vorsorgetermin U6, dem sogenannten Einjahresuntersuchung zwischen zehn und zwölf Monaten keine Vorsorgeuntersuchungen wahrgenommen.
Bei seiner Einlieferung litt das Kind unter Atemnot und zeigte typische Zeichen einer schweren Blutarmut durch Vitamin-B12-Mangel. Die radiologischen Untersuchungen des Gehirns offenbarten dann die erschreckende Ausmaß der Schädigung durch die mangelhafte Ernährung: Groß- und Kleinhirn waren geschrumpft und wiesen Blutergüsse (Subduralblutungen) auf. Das Ärzteteam diagnostizierte eine sogenannte Wernicke-Enzephalopathie, eine Hirnschädigung durch Vitaminmangel. Wie konnte es dazu kommen? Professor Koletzko: „Ernährt sich eine Mutter während der Schwangerschaft nach der veganer Lebensweise ohne Ergänzung ihrer Nahrung mit zusätzlichen Nährstoffen, gibt sie ihren Mangel an Vitamin B12 an ihr Kind weiter. In der Leber des ungeborenen Babys werden keine ausreichenden Mengen der lebenswichtigen Vitamine B12 und D und des Spurenelements Eisen gespeichert. Da auch die Brustmilch der Mutter nicht genug davon enthält, droht trotz Vollstillen eine bedrohliche Unterversorgung des Babys“.
So auch im geschilderten Fall: Die Ärzte der Kinderklinik Jena konnten das Kind nur durch eine Intensivtherapie aus der gefährlichen Stoffwechselsituation herausholen. Die Therapie erwies sich als äußerst kompliziert. Erst nach vier Wochen maschineller Beatmung auf der Intensivstation konnte der kleine Junge auf die Kinderneurologie verlegt werden. Seine motorischen und geistigen Defizite konnten aber auch dort nur teilweise wieder behoben werden.
Einfühlsame Beratung verringert das Risiko
Frauen, die sich vegan ernähren, sollten sich am besten schon vor, aber spätestens mit dem Eintreten einer Schwangerschaft intensiv diätetisch und medizinisch beraten lassen, um Gefahren für ihr Kind vorzubeugen, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. Um ihren Bedarf an Energie und Nährstoffen decken zu können, sollten sie über die Zusammensetzung von Lebensmitteln genau informiert sein. Angesichts des hohen Risikos für das Kind ist eine ausgewogene Ernährung meist nur mit Hilfe von ergänzenden Nährstoffpräparaten zu erreichen.
„Leider meiden gerade viele Eltern mit alternativen Überzeugungen die üblichen kinderärztlichen Untersuchungen, oft aus Angst, auf Unverständnis und Ablehnung zu stoßen“ beklagt Professor Koletzko. „Eine Verurteilung der Eltern sollte jedoch auf jeden Fall vermieden und ihre Beweggründe sollten akzeptiert werden. Bei geduldiger und einfühlsamer Beratung durch den Kinderarzt gelingt es oft, die Ernährungsweise schrittweise zu verändern und dadurch das schwerwiegende Risiko einer Mangelversorgung des Kindes zu reduzieren“.
Quelle: Stiftung Kindergesundheit
Internet: www.kindergesundheit.de
Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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