Gestillte Kinder – drahtige Kinder

Muttermilch ist einzigartig. Ihre Zusammensetzung ist in idealer Weise auf die Bedürfnisse des Babys in den ersten Monaten des Lebens abgestimmt: Sie unterstützt das Gedeihen des Kindes, bietet Schutz vor Infektionen und beugt späteren chronischen Krankheiten vor. Dabei ist es nicht ein einzelner Stoff oder ein bestimmter Faktor, der über das Stillen die Gesundheit des Babys beeinflusst, sondern das Zusammenspiel vieler Komponenten, die sich gegenseitig ergänzen. Eines dieser Komponenten, der Eiweißgehalt der Muttermilch, rückte in den letzten Jahren besonders in den Fokus der Forschung, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in ihrer aktuellen Stellungnahme. Der Eiweißgehalt der Nahrung, mit der ein Baby aufgezogen wird, dürfte nämlich maßgeblich daran beteiligt sein, ob das Kind später schlank bleibt oder Übergewicht entwickelt.
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„Die ersten 1000 Tagen des menschlichen Lebens – von der Entwicklung im Mutterleib bis zum Alter von etwa zwei Jahren – bestimmen das Programm für das Wohlbefinden im späteren Leben und für die langfristige Gesundheit im Erwachsenenalter“, sagt Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitäts-Kinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit: „In dieser Zeit bieten sich die größten Chancen zur Vorbeugung gegen die bedrohlich zunehmenden Zivilisationskrankheiten unserer Tage und besonders gegen Übergewicht und Fettsucht.

Unser besonderes Augenmerk gilt dabei der Ernährung des ungeborenen und des neugeborenen Kindes. Sie kann die genetischen Anlagen des Kindes und sein Immunsystem stärken oder schwächen und damit in die richtige oder aber in eine falsche Richtung programmieren und ist maßgeblich dafür verantwortlich, ob der kleine Mensch in seinem späteren Leben Gewichtsprobleme haben wird“.

Mamas Milch ist nicht zu toppen

Dabei spielt die Muttermilch eine wichtige Rolle: Sie hat sich in zahlreichen Studien und Metaanalysen als die beste Vorbeugung gegen Adipositas gezeigt. Sie verringert laut Stiftung Kindergesundheit das spätere Risiko für Übergewicht je nach Studie um zwischen 15 und 22 Prozent. Aus diesem Grund bemühen sich die Produzenten von industriell hergestellten Säuglingsnahrungen intensiv darum, die Zusammensetzung ihrer Produkte möglichst weit dem Vorbild der Muttermilch anzugleichen.

In den letzten Jahren wurde immer klarer, dass der Eiweißgehalt der Nahrung eine entscheidende Bedeutung für die Entwicklung der Babys besitzt. Proteine und ihre Bausteine, die verschiedenen Aminosäuren liefern die Grundsubstanz für den Stoffwechsel zum Aufbau aller Körperzellen des kindlichen Organismus. Viele der lebensnotwendigen Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden.

Die Milch der Mutter ist auch in der Eiweißzusammensetzung einzigartig, weil sie einen besonders niedrigen Proteingehalt in sehr hoher Qualität bietet. Muttermilch enthält mit durchschnittlich 1,5 g pro 100 Milliliter deutlich weniger Proteine als die Kuhmilch mit 3,5 g Eiweiß pro 100 Milliliter. Auch der Eiweißgehalt industriell hergestellter Säuglingsnahrungen liegt meist deutlich höher als der der Muttermilch. Ein Zuviel an Proteinen belastet jedoch die Niere und kann die Ausschüttung von Insulin forcieren.

1678 Babys wurden verglichen

Die Frage, ob die Höhe der Eiweißzufuhr im ersten Lebensjahr auch die spätere Tendenz zum Fettsein beeinflusst (die so genannte „Frühe Protein Hypothese“), wird seit 2002 in der von der Stiftung Kindergesundheit unterstützten und von Professor Koletzko koordinierten europäischen CHOP-Studie (European Childhood Obesity Project) untersucht. Kinder- und Jugendärzte in fünf europäischen Ländern (Deutschland, Belgien, Italien, Polen und Spanien) beobachten zusammen mit Ernährungswissenschaftlern die Entwicklung von 1678 Babys, mittlerweile im Verlauf der ersten sechs Lebensjahre.

Die teilnehmenden Babys wurden für die Studie in drei Gruppen aufgeteilt: Kinder, die nach dem zweiten Monat nicht mehr gestillt wurden, erhielten doppelblind während des ersten Lebensjahres randomisiert entweder eine Säuglingsnahrung mit niedrigem Eiweißgehalt oder Fläschchenkost mit höherem Eiweißgehalt. Babys, die auch nach dem zweiten Monat weiterhin gestillt wurden, dienten als Beobachtungsgruppe zur Kontrolle. Zunächst wurden im Alter von drei, sechs, zwölf, 18 und 24 Monaten nach einer genau standardisierten Methode Körpergröße und Körpergewicht gemessen und der so genannte Body-Mass-Index, BMI berechnet. Von mehr als 60 Prozent der Probanden lagen Daten zum Wachstum und zur Gewichtsentwicklung vor.

Die Untersuchungen des internationalen Forschungsteams zeigten schon ab einem Alter von sechs Monaten deutliche Unterschiede zwischen den gestillten und den mit der Flasche ernährten Babys. Bereits in diesem Alter ergaben sich auch schon die ersten Unterschiede in der Gewichtsentwicklung der mit der Flasche ernährten Kinder: Babys, die eine Säuglingsnahrung mit einem höheren Proteingehalt erhielten, legten mehr an Gewicht zu. Bei der Untersuchung im Alter von zwei Jahren erwiesen sie sich ebenfalls als deutlich schwerer als Kinder, die Nahrung mit weniger Protein bekamen.

Weniger Eiweiß, bessere Werte

Die kürzlich abgeschlossene Untersuchung der Kinder im Alter von sechs Jahren bestätigte die anfänglichen Erkenntnisse der Studie und lieferte entscheidende Beweise für die langfristigen Auswirkungen der Ernährung im Säuglingsalter. Martina Weber, Dr. von Haunersches Kinderspital der Ludwig Maximilians-Universität München, Abt. Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin: „Unsere Messungen ergaben für Kinder, deren Säuglingsnahrung einen höheren Eiweißanteil hatte, deutlich höhere BMI-Werte im Alter von sechs Jahren. Ihr Risiko, übergewichtig zu werden, war nach Korrektur für weitere Risikofaktoren 2,9fach höher als das jener Kinder, die eine Fläschchen-Nahrung mit einem niedrigeren Eiweißanteil erhielten. Darüberhinaus führt eine höhere Eiweißzufuhr – im Vergleich zu einer eiweißärmeren Flaschennahrung oder zur Muttermilch – zu veränderten biochemischen und endokrinen Parametern und zu einem pathologisch erhöhten Nierenwachstum“.

Die neue Erkenntnisse des Forschungsteams wurden Anfang 2014 im angesehenen wissenschaftlichen Fachblatt „American Journal of Clinical Nutrition“ publiziert(Am J Clin Nutr February 20, 2014, doi: 10.3945/ajcn.113.064071).

Daraus lassen sich folgende Empfehlungen ableiten:

Stillen ist die beste Form der Säuglingsernährung und sollte aktiv und konsequent gefördert, unterstützt und geschützt werden. Zum Schutz des Stillens müssen die Grundsätze des WHO-Codex zur Vermarktung von Säuglingsnahrungen von den Herstellern eingehalten werden.

Kinder sollten wegen des sehr hohen Eiweißgehaltes keine handelsübliche Trinkmilch (Kuhmilch) im ersten Lebensjahr zu trinken bekommen.

Wenn die Mutter ihr Kind nicht oder nicht voll stillt, sollte sie ihr Kind bevorzugt mit einer Nahrung mit niedrigem Eiweißgehalt aber guter Eiweißqualität ernähren. Die Selbstherstellung von Fläschchen-Nahrung ist nicht empfehlenswert. Das gilt für alle Milcharten – also auch für Ziegen-, Schaf- und Stutenmilch sowie für andere Rohstoffe wie Mandeln oder Soja.

In den ersten beiden Lebensjahren des Kindes sollte eine sehr rasche Gewichtszunahme nach Möglichkeit vermieden werden. Stellt der Kinder- und Jugendarzt bei den Vorsorgeuntersuchungen bedenkliche Werte fest, sollte er die Eltern aufmerksam machen und gezielt beraten.

Die CHOP-Studie läuft übrigens weiter: Eine weitere Beobachtung der Kinder ist bis zum Alter von elf Jahren geplant.

Quelle: Stiftung Kindergesundheit


Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0

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