27.02.14 (ams). Nicht jedes zappelige, unaufmerksame und impulsive Kind leidet an ADHS. Doch wenn es sich tatsächlich um eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung handelt, braucht es Hilfe. „Das sollten aber nicht immer gleich Tabletten sein“, sagt Dr. Christiane Roick, stellvertretende Leiterin des Stabs Medizin im AOK-Bundesverband. Beratung von Eltern, Kita oder Schule sowie die verhaltenstherapeutische Interventionen gehen vor. Erst wenn damit keine hinreichende Besserung erreicht werden kann, sollte man an Medikamente denken.
Viele betroffene Kinder bekommen mittlerweile Medikamente. Binnen weniger Jahre stieg die Zahl der verordneten Medikamente stark an. „Das alarmiert nicht nur die Experten, es verunsichert vor allem auch die Eltern. Betroffene Familien fragen sich, ob es richtig ist, ihren Kindern Medikamente zu geben“, sagt Medizinerin Roick. Oft beobachten Eltern schon sehr früh, dass ihr Kind impulsiv ist, sich leicht ablenken lässt, wenig Ausdauer hat und sehr zappelig ist. Doch so unterschiedlich Kinder sind, so unterschiedlich ausgeprägt können auch die Symptome sein. Häufig sind es auch erst die Kitas oder die Schule, die Eltern auffälliges Verhalten ihres Kindes rückmelden.
Manchmal sind solche Auffälligkeiten auch nur vorübergehend. Deshalb kommt eine ADHS nur in Betracht, wenn die Symptome sich in unterschiedlichen Zusammenhängen, zum Beispiel zu Hause und in der Schule, manifestieren und mindestens sechs Monate lang aufgetreten sind. Zudem sollte die Diagnose einer ADHS beziehungsweise einer hyperkinetischen Störung nach Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur gestellt werden, wenn die Verhaltensauffälligkeiten vor dem sechsten Lebensjahr begonnen haben. „Haben Eltern den Verdacht, ihr Kind könnte betroffen sein, sollten sie auf jeden Fall ihren Kinderarzt darauf ansprechen“, sagt Roick. Er kann den Eltern dann gegebenenfalls auch weitere geeignete Ansprechpartner empfehlen.
ADHS-Symptome können unterschiedlich ausgeprägt sein und beispielsweise auch mit Störungen des sozialen Verhaltens, wie ausgeprägten Wutanfällen, oder mit verschiedenen Begleiterkrankungen einhergehen. Angesichts dessen ist eine genaue Diagnose besonders wichtig.
„Neben der gründlichen Untersuchung und Beobachtung des Kindes ist auch das intensive Gespräch mit den Eltern und das Einholen ergänzender Informationen von Erziehern oder Lehrern sehr wichtig“, sagt Roick. Zudem können spezielle Fragebögen und gezielte Tests die Diagnostik unterstützen. Ein Bestandteil ist beispielsweise eine Intelligenz-, Leistungs- und Entwicklungsdiagnostik, denn oftmals sind Kinder auch deshalb zappelig, weil sie in der Schule über- oder unterfordert sind. Häufig kommen mehrere Probleme zusammen, die das Verhalten des Kindes auslösen.
Steht die Diagnose ADHS fest, geht es darum, dem Kind gezielt zu helfen. Zunächst einmal stehen Information und Beratung der Eltern, des Kindes sowie des Erziehers oder Klassenlehrers und verhaltenstherapeutische Interventionen im Vordergrund. Kinder mit ADHS brauchen verlässliche und feste Strukturen mit klaren Grenzen, die ihnen Halt geben und den Überblick erleichtern. So können zum Beispiel Belohnungssysteme, die in Elternhaus wie Schule gelten, ein positives Verhalten der Kinder fördern. „Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Eltern zu stärken, die sich oft für das Problem ihrer Kinder verantwortlich fühlen.“ Verhaltenstherapeutische Ansätze zielen darauf, dass die Kinder nach und nach lernen, ihr eigenes Verhalten besser einzuschätzen und selbst zu kontrollieren.
Wenn diese Maßnahmen auch nach mehreren Wochen bis Monaten keine Besserung gebracht haben und die ADHS-Symptomatik weiterhin ausgeprägt ist, kommt auch eine medikamentöse Behandlung in Betracht. „Bei dieser Entscheidung sollte berücksichtigt werden, wie stark das Kind durch die ADHS beeinträchtigt ist, unter anderem im Hinblick auf seine sozialen Kontakte und die schulischen Leistungen“, sagt Roick.
Der in Deutschland am meisten verwendete Wirkstoff ist Methylphenidat. Er ist zugelassen für Kinder ab sechs Jahren. Bei dem Wirkstoff handelt es sich um ein Psychostimulans, das bei missbräuchlicher oder zweckentfremdeter Verwendung auch eine psychische Abhängigkeit hervorrufen kann. Bei sachgemäßer Einnahme und entsprechender Überwachung der Verordnungen ist dies jedoch nicht zu befürchten. Methylphenidat kann Nebenwirkungen wie Schlafstörungen oder eine Minderung des Appetits haben. Zudem müssen Körpergröße und Gewicht der Kinder engmaschig kontrolliert werden, da das Wachstum durch die Behandlung beeinflusst werden kann. In regelmäßigen Abständen sollte der Arzt zudem testen, ob die medikamentöse Behandlung weiterhin nötig ist. Dazu probiert das Kind in einem Auslass-Versuch, ob es auch ohne Medikamente nun besser mit der Erkrankung klar kommt.
Leidet ein Kind an ADHS, ist das nicht nur eine Herausforderung für das Kind selbst, sondern auch für die Eltern. Es bringt viele Probleme mit sich und führt nicht selten dazu, dass es im Familienleben Konflikte gibt. Deshalb ist es ganz wichtig, dass Eltern sich und auch ihr Kind immer auf positive Dinge besinnen: Was ist schön? Was tut uns als Familie gut? Was sind die Stärken meines Kindes? Ärztin Dr. Roick: „Für die betroffenen Kinder ist es enorm wichtig, dass die Eltern sich konsequent verhalten, den Kindern Halt und Orientierung geben und ihnen gleichzeitig vermitteln, dass sie auf ihrer Seite sind.“
Weitere Infos zum Thema gibt es: |
Zum ams-Ratgeber 02/14 – Quelle: AOK-Medienservice
Bild: Pixabay – Lizenz: Public Domain CC0
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