Frühchen-Stationen unterbesetzt wegen zu hoher Personalkosten
Mainz. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) versucht, verbindliche Mindeststandards beim Pflegepersonal auf Frühchen-Stationen abzuwenden. Das berichtet das ARD-Politikmagazin REPORT MAINZ unter Berufung auf einen internen Briefwechsel zwischen Deutscher Krankenhausgesellschaft und Bundesgesundheitsministerium.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken hatte in seiner Sitzung vom 20. Juni 2013 einen verbindlichen Pflegeschlüssel von 1:1 in der Intensivtherapie für Frühchen beschlossen. Das bedeutet, dass nach Ablauf einer Übergangsfrist von 2017 an pro Frühchen mindestens eine Kinderkrankenpflegekraft zur Verfügung stehen muss.
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Doch Recherchen von REPORT MAINZ zeigen jetzt, dass die Deutsche Krankenhausgesellschaft diese Richtlinie, der sie im G-BA zunächst zugestimmt hatte, nun hinter den Kulissen wieder auszuhebeln versucht: Dem ARD-Politikmagazin liegt ein Schreiben des DKG-Hauptgeschäftsführers Georg Baum an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) vom 23. August 2013 vor, in dem er die durch den Beschluss entstehenden „hohen Personalmehrkosten“ kritisiert. Es gebe zudem „nicht genügend entsprechend ausgebildete Fachkräfte“. Wörtlich heißt es darin weiter: „Die Kliniken laufen in eine objektive Unmöglichkeit bei der Umsetzung dieses Beschlusses“. Daher seien „Korrekturen des G-BA-Beschlusses erforderlich“.
Diese Lobbyarbeit der DKG hatte inzwischen offenbar auch Erfolg: Mit Schreiben vom 6. September 2013 beauftragte das Bundesgesundheitsministerium jetzt den Gemeinsamen Bundesausschuss, eine Regelung für „eine Abweichung von den vorgeschriebenen Pflegeschlüsseln“ zu prüfen.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisierte im Interview mit REPORT MAINZ, Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sei gegenüber der Krankenhauslobby eingeknickt. Ein verbindlicher Personalschlüssel für Frühchen-Stationen werde unterlaufen, wenn nun doch wieder Ausnahmen erlaubt würden. „Diese aufgeweichte Richtlinie würde in Wirklichkeit dann nicht mehr wirken. Das ist eine unethische Bevorzugung der wirtschaftlichen Interessen der Krankenhäuser gegen die Interessen der Kinder, um deren Behinderung und Lebensqualität es hier geht“, sagte Lauterbach. Die Frühchenbehandlung sei für Krankenhäuser ein lukratives Geschäft, deshalb dürfe ein besserer Pflegepersonalschlüssel nicht verhindert werden. „Das ist wirklich kein Ruhmesblatt für die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Hier versucht man den Profit einiger Krankenhäuser zu retten, zu Lasten der Kinder, die von lebensbedrohlichen Behinderungen heimgesucht werden können“, betonte Lauterbach.
Auch Prof. Christian Poets, Ärztlicher Direktor der Neonatologie an der Uniklinik Tübingen, kritisierte die Lobbyarbeit der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit Blick auf die G-BA-Richtlinie zur Frühchenversorgung: „Es ärgert mich, dass hier schon wieder ein Versuch, die Versorgung unserer kleinsten Patienten zu verbessern, unterlaufen wird. Hier geht es um Kinderleben – und da dürfen keine Kompromisse gemacht werden. Wir haben noch einige Jahre Zeit, um qualifiziertes Personal auszubilden. Aber das kostet Geld, und das wollen offenbar einige Kliniken nicht. Hier wird wieder bei den schwächsten Menschen gespart, und das halte ich für nicht zulässig“.
Viele Frühchen-Stationen in Deutschland sind unterbesetzt. „Man hat da immer weiter gespart. Und das hat dazu geführt, dass heute eine Pflegefachkraft auf einer Frühchenstation im schlimmsten Fall bis zu sechs Frühchen gleichzeitig versorgen muss in ihrer Schicht“, sagte Johanna Knüppel, Sprecherin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) im Interview mit REPORT MAINZ. Dies sei unverantwortlich, weil die Frühgeborenen einen hohen Pflegebedarf hätten. Notwendig sei ein Pflegepersonalschlüssel von 1:1.
Auch Neonatologe Prof. Christian Poets erklärte, viele Frühchen-Stationen in Deutschland seien unterbesetzt: „Das bedeutet ganz konkret, dass es viele Stationen gibt, auf denen nur sehr wenige Schwestern tätig sind, die diese Kinder versorgen, ein enormer Stress dadurch herrscht, die Schwestern sehr belastet sind. Und das wiederum kann dazu führen, dass das Kind Komplikationen erleidet, zum Beispiel Infektionen zu spät erkannt werden, zum Beispiel Hirnblutungen eher auftreten, möglicherweise auch Todesfälle eher auftreten“.
Quelle: Report Mainz
Internet: http://www.swr.de/report
aus der Sendung vom Dienstag, 29.10. | 21.45 Uhr | Das Erste
Bild: cleankids
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