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Kindliche Verlockungen: Reinbeißen oder standhalten?

Schon früh zeigen Kinder ein erstaunliches Gefühl für Fairness und Gerechtigkeit. Je älter sie werden, desto mehr entwickeln sich Mitgefühl und Empathie. Nikolaus Steinbeis aus der Abteilung von Tania Singer am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig erforscht, wie sich das Sozialverhalten von Kindern mit zunehmendem Alter verändert und welche Netzwerke im Gehirn dabei eine Rolle spielen.

Bunte Lutscher, Lakritzbonbons, Gummibärchen – „Quengelware“, präsentiert in Augenhöhe der Kinder: Die Verkaufsstrategen der Supermärkte wissen ganz genau, warum sie Süßigkeiten gerade da ausbreiten, wo die Kunden an der Kasse Schlange stehen und warten. Weil die Kleinen zugreifen, während die Erwachsenen ihre Einkäufe auf das Förderband packen. Das fördert die Verkaufszahlen. Denn bevor es jedes Mal ein großes Geschrei gibt, wenn die Eltern ihrem Kind das knallig verpackte, klebrige Zeug genervt wieder wegnehmen, kriegen die Kleinen häufig dann doch ihren Willen.

Nikolaus Steinbeis sieht aus wie jemand, der Kinder gut verstehen kann: offenes, jungenhaftes Lachen, bunter Pulli, kurze Hosen. An eine Untersuchung zu sozialen Kompetenzen und ihrer hirnphysiologischen Repräsentation denkt man eher nicht, wenn der Psychologe vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften einen Raum mit Kindern betritt und seine Schätze ausbreitet: Bilderbücher, Spiele, bunte Aufkleber und Kinogutscheine. Bonbons als Anreiz waren nicht erlaubt in der Süßigkeiten-skeptischen Schweiz, wo die Versuchsreihe vor einigen Jahren an der Universität Zürich begann. Trotzdem: Steinbeis ist so etwas wie der Marshmallow-Mann in den Experimenten des amerikanischen Psychologen Walter Mischel aus den 1960er-Jahren. Und nichts an ihm deutet darauf hin, dass er die Kinder gleich in heftige Konflikte stürzen wird.

Mischel hatte seinen Probanden einen Klumpen aus Zuckerschaum gegeben und ihnen einen zweiten versprochen, wenn sie es schafften, die Süßigkeit nicht anzurühren – Stichwort Impulskontrolle. Dann ging der Versuchsleiter aus dem Raum und überließ die Kinder ihrem Dilemma. Nur eine Kamera hielt die Kämpfe der Kinder fest, ihre Niederlagen und die Siege über die Versuchung.

Die Testergebnisse zeigen, dass Kinder, die in dieser Situation standhaft bleiben, später in Schule und Berufsleben erfolgreicher sind. Eine solche Standhaftigkeit, wenn die Belohnung erst mit Verzögerung gewährt wird, geht einher mit Erfolg in der Schule und im Berufsleben. Verlässlicher noch als Intelligenz. Und für Erwachsene ist es äußerst vergnüglich zu beobachten, wie sich die Kleinen vor dem Teller hin und her winden und den inneren Konflikt kaum aushalten.

Auch in den Studien des Leipziger Forschers geht es um Verzicht auf eine unmittelbare Belohnung, um Impulskontrolle und um Fairness beim Teilen. Er zerlegt komplexe Wertesysteme wie Empathie und Gerechtigkeit in kleine, messbare Einheiten. Steinbeis setzt Kinder vor einen Bildschirm und lässt sie auf schnelle Zeichen reagieren, er hält ihnen die Resultate ihrer Mitspieler vor und beobachtet ihr Verhalten, wenn sie sich unterlegen fühlen oder glauben, sie hätten die Nase vorn. Oder er gibt ihnen Plastikgeld, für das sie etwas kaufen können. Zwei Münzen: ein bunter Sticker. Zehn Münzen: einmal Harry Potter im Kino.

Wer teilt, wer behält alles für sich? Seine Ergebnisse zeigen: Sechsjährige tun sich mit dem Abgeben schwer, ältere Kinder teilen eher.

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Auf den Punkt gebracht:

  • Die Ausprägung des kindlichen Sozialverhaltens folgt der Entwicklung der zugrunde liegenden Hirnareale, wie zum Beispiel des dorsolateralen präfrontalen Kortex und des temporal-parietalen Kreuzungsareals.
  • Da manche dieser Regionen erst relativ spät vollständig ausreifen, können jüngere Kinder das Verhalten anderer schlechter vorhersagen und eigenen Impulsen schwer widerstehen.
  • Ähnlich wie beim Spracherwerb vermutet man beim Sozialverhalten eine oder mehrere kritische Phasen, in denen sich bestimmte soziale Fähigkeiten besonders beeinflussen lassen sollten.

Quelle:
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
Internet: http://www.mpg.de/
Text: Martin Tschechne

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