Feinstaub – das unterschätzte Risiko für Kinder
Je kleiner, umso gemeiner: Die winzigen, mit bloßem Auge nicht erkennbaren Feinstaub-Partikel in der Luft an unseren Straßen entpuppen sich immer deutlicher als ein wachsendes Umweltproblem besonders für Kinder, berichtet die in München beheimatete Stiftung Kindergesundheit. Nach einer neuen Studie sind sie nicht nur an der Entstehung von Allergien, Asthma, Herzinfarkt und Lungenkrebs beteiligt, sondern können für Kinder auch das spätere Risiko für Diabetes erhöhen.
Als Feinstaub oder englisch „Particulate Matter“ (PM) bezeichnet man Teilchen in der Luft, die nicht sofort zu Boden sinken, sondern eine gewisse Zeit in der Atmosphäre verbleiben. Die winzigen Partikel sind kleiner als Bakterien und mit bloßem Auge nicht wahrzunehmen.
Unterschieden werden sie nach Größe: Unter PM10 versteht man alle Staubteilchen, deren Durchmesser kleiner als 10 Mikrometer, also 10 Millionstel Meter ist. Eine Teilmenge der PM10-Fraktion sind die noch feineren Teilchen, deren Durchmesser weniger als 2,5 Mikrometer beträgt. Partikel dieser Größe können über den Kehlkopf hinaus bis tief in die feinen Verästelungen des Lungengewebes gelangen. Sie sind daher besonders gesundheitsschädlich: Asthma, Bronchitis und Lungenkrebs gehören zu den gefährlichen Folgen und es kann zu einer signifikanten Verminderung der Lebenserwartung kommen.
Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit:
„Laut Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation verkürzt die mit Feinstaub belastete Luft die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland um etwa zehn Monate. Nach WHO-Angaben gibt es keine Feinstaubkonzentration, unterhalb derer keine schädigende Wirkung zu erwarten ist“. Besonders hoch ist die Feinstaubbelastung in Großstädten und am Rande von Industriegebieten.
Insulinresistenz als Risikofaktor
Immer mehr Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Zuckerkrankheit. Ob an dieser alarmierenden Zunahme von Diabetes auch die Luftverschmutzung beteiligt ist, wurde bisher vor allem in Tierversuchen erforscht. Elisabeth Thiering und Dr. Joachim Heinrich vom Institut für Epidemiologie I am Helmholtz Zentrum München in Neuherberg gingen jetzt der Frage nach, ob zwischen Luftverschmutzung und einer Resistenz gegenüber Insulin bei Kindern ein möglicher Zusammenhang besteht. Eine Insulinresistenz bedeutet ein vermindertes Ansprechen der Zellen des Körpers auf das Hormon Insulin.
Eine eingeschränkte Insulinwirkung gilt als wichtiger Risikofaktor für einen Diabetes Typ 2. Eine Insulinresistenz im Kindesalter erhöht das Risiko, im Erwachsenenalter an Diabetes zu erkranken.
Die Münchner Wissenschaftler nutzten für ihre Untersuchung die Erkenntnisse aus zwei laufenden Beobachtungsstudien. Es waren zum einen die von der Stiftung Kindergesundheit unterstützte GINIplus-Studie: Sie begleitet 5.991 Kinder aus München und Wesel seit ihrer Geburt, um den Einfluss von Umwelt- und Ernährungsfaktoren auf die Entwicklung allergischer Erkrankungen zu untersuchen. Die zweite, so genannte LISAplus-Studie erforscht an 3.097 Kindern aus München, Wesel, Leipzig und Bad Honnef die Unterschiede zwischen West und Ost bei allergischen Erkrankungen. In beiden Studien wird regelmäßig das Blut der Kinder untersucht.
Für ihre neue Studie haben die Wissenschaftler Daten und Blutproben von 397 10-jährigen Kindern in Deutschland ausgewertet und mit Hilfe von Rechenmodellen die individuellen Werte der Belastung der Kinder durch Feinstaub und Stickstoffdioxid berechnet.
Für die Erhebung der Feinstaubbelastung wurden Analysen der Verkehrsemissionen und der Bevölkerungsdichte in Wohnortnähe herangezogen. Berücksichtigt wurden auch weitere Daten, so der sozioökonomische Status der Familie, die Belastung durch Passivrauchen sowie Geburtsgewicht, Entwicklungsstatus und BMI (Body-Mass-Index) der Kinder.
Die Auswertung der Daten ergab eine höhere Insulinresistenz bei jenen Kindern, die vermehrt Feinstäuben ausgesetzt waren:
Pro 10,6 μg/m3 zusätzlichem Luftgehalt an Stickstoffdioxid (NO2) stieg die Häufigkeit der Insulinresistenz um 17 Prozent.
Für Feinstaub in der Luft (bis zu einem Durchmesser von 10 μm) kam es zu einem Anstieg der Insulinresistenz um 19 Prozent pro 6 μg/m3.
Auch die Entfernung der Wohnung zu einer stark befahrenen Straße spielte eine Rolle: In ihrer Nähe stieg die Insulinresistenz um 7 Prozent pro 500 Meter.
Ekzeme, Allergien und Asthma
Einen ersten Beleg für den gesundheitsschädigenden Einfluss der Luftverschmutzung auf Kinder hatte die Münchner Forschergruppe bereits vor fünf Jahren liefern können. Das Team um Dr. Joachim Heinrich verglich damals die Daten von 3.061 sechsjährigen Kindern aus München und Umgebung. Es zeigte sich, dass eine steigende Feinstaub-Exposition zu einer Zunahme der asthmatischen Bronchitis sowie der Sensibilisierung gegenüber Pollen und anderen häufigen Allergenen führt. Eine erhöhte Stickoxid-Belastung war mit der Zunahme von Ekzemen verknüpft.
Besonders deutlich waren die Zusammenhänge zwischen dem Wohnumfeld und dem Auftreten von asthmatischer Bronchitis, Heuschnupfen, Ekzemen sowie allergischer Sensibilisierung: Kinder, die weniger als 50 Meter von einer viel befahrenen Hauptstraße entfernt wohnten, hatten im Vergleich zu weiter abseits wohnenden Altersgenossen ein um bis zu 50 Prozent höheres Risiko für diese Erkrankungen! Mit steigendem Abstand zur Hauptstraße wurde das Allergierisiko immer geringer.
Gefährlicher Dieselruß
Feinstäube stammen zu rund 75 Prozent aus Verbrennungsprozessen. Als Hauptverursacher gelten der Verkehr, der Hausbrand und die Industrie. Beim Verkehr stammt der Großteil von Diesel-Fahrzeugen und der Aufwirbelung von Straßenstaub. Insbesondere für die Entstehung von ultrafeinen Partikeln (PM0,1) mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 Mikrometer oder 100 Nanometer sind fast ausschließlich Fahrzeuge mit Dieselmotoren verantwortlich.
Nach langem Zögern hat die WHO am 12. Juni 2012 Dieselruß als definitiv krebserregend eingestuft und damit auf eine Stufe mit Asbest und Arsen gestellt. Nach einer Hochrechnung von „Kinderumwelt“, einer gemeinnützigen Gesellschaft der Akademie der Kinder- und Jugendärzte (DAKJ) verschulden Dieselabgase 10.000 bis 19.000 Todesfälle jährlich. 10 Prozent der Betroffenen sterben an Lungenkrebs, 90 Prozent an Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Im Informationsangebot ALLUM zu Allergie, Umwelt und Gesundheit (www.allum.de) der „Kinderumwelt“ heißt es: „Das Risiko von Feinstaubpartikeln hängt von verschiedenen Faktoren ab. Kleinere Partikel dringen tiefer in die Lunge ein als größere und wirken deshalb länger ein. Feinstaub mit einer Partikelgröße von 5-10 μm gelangt nur bis in den Nasenrachenraum, mit einer Partikelgröße von 3 μm schon in die Bronchien.
Ultrafeine Partikel (PM 0,1) erreichen auch die Lungenbläschen (Alveolen), wo sie nur sehr langsam oder auch gar nicht wieder entfernt werden. Es gibt auch Hinweise, dass Ultrafeinstäube aus der Nase entlang des Riechnervs in das Gehirn gelangen könnten. Bei Kindern, die besonders hohen Konzentrationen ausgesetzt sind, könnte das die Intelligenz- und Gedächtnisleistungen beeinträchtigen“.
Grenzwerte nur schwer einzuhalten
Zum Schutz der Gesundheit gelten seit dem 01.01.2005 europaweit einheitliche Grenzwerte für Feinstaub (PM10). Der Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft darf höchstens an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Vielen deutschen Städten fällt es bisher allerdings sehr schwer, diese EU-Grenzwerte einzuhalten, bedauert die Stiftung Kindergesundheit. Die Grenzwerte werden vor allem an stark vom Verkehr beeinflussten Standorten in Städten und Ballungsräumen immer wieder überschritten. So hat die Stadt Reutlingen den PM10-Tagesgrenzwert bereits in den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 an 62 Tagen überboten. In Stuttgart stieg die Feinstaubbelastung in diesem Zeitraum an 57 Tagen über die verpflichtende Obergrenze.
Jeder kann etwas dagegen tun
Bei der Verbesserung der Luftqualität wurde in den letzten Jahrzehnten in Deutschland bereits viel erreicht. Weitere Anstrengungen sind jedoch dringend nötig, betont die Stiftung Kindergesundheit in ihrer aktuellen Stellungnahme. „Für die Verringerung der Feinstaubbelastung sind allerdings nicht Politiker und Behörden zuständig: Jeder einzelne sollte sich des Problems bewusst sein“, unterstreicht Professor Koletzko mit großem Nachdruck. Er verweist auf die Empfehlungen des Umwelt-Bundesamtes, die alle Autofahrer berücksichtigen sollten. Sie lauten:
- Fahrten mit dem eigenen PKW verringern,
- Fahrgemeinschaften nutzen,
- öffentliche Verkehrsmittel benutzen,
- kurze Strecken mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen,
- Geschwindigkeit bei PKW-Fahrten mäßigen,
- Fahrzeuge mit geringem Kraftstoffverbrauch und Feinstaubausstoß benutzen,
- neue Dieselfahrzeuge nur mit Partikel- und Stickoxidfilter der EURO 6-Norm kaufen
- Altfahrzeuge nachrüsten.
Professor Berthold Koletzko: „Jeder von uns sollte aktiv an der Verminderung des Feinstaub-Risikos mitarbeiten. Nur so können wir die Chancen für unsere Kinder, gesund heranzuwachsen, nachhaltig verbessern“.
Quelle:
Stiftung Kindergesundheit
Internet: www.kindergesundheit.de
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