Durchfall durch Rotaviren: Schluckimpfung bald für alle Babys

Für einen Durchfall hat der Volksmund meist nur Häme übrig und spottet über den „flotten Otto“ oder über „Montezumas Rache“.

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Erkrankt ein Baby an Durchfall, ist seinen Eltern aber gar nicht zum Lachen zumute: Durch den damit verbundenen Verlust von Flüssigkeit und Nährstoffen kann das Kind sehr schnell in einen gefährlichen Zustand geraten und regelrecht austrocknen. Die häufigste Ursache von Brechdurchfall bei Babys und kleinen Kindern sind die hoch ansteckenden Rotaviren. Seit 2006 sind in Deutschland zwei Lebendimpfstoffe als Schluckimpfung gegen Rotaviren für Säuglinge bis zum Alter von sechs Monaten zugelassen. Nun hat sich die Ständige Impfkommission (STIKO) entschlossen, die Impfung gegen diese Erreger vom August 2013 an in die allgemeinen Impfempfehlungen aufzunehmen.

Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit begrüßt die Entscheidung: „Die Stiftung Kindergesundheit hatte bereits 2008 allen Eltern von Neugeborenen geraten, die Möglichkeit der Schutzimpfung vor Rotaviren zu nutzen. Die Stiftung vertritt mit Überzeugung die Meinung, dass Eltern jede Chance nutzen sollten, eine Krankheit, die auch ihrem Kind drohen kann, durch eine gut wirksame Impfung zu verhindern“.

Unter dem Elektronenmikroskop sehen Rotaviren wie Radspeichen aus, daher ihr Name (Rota = Rad). Die Erreger sind in Europa jedes Jahr für rund 3,6 Millionen Durchfallerkrankungen bei Kindern verantwortlich.

Etwa 87.000 Kinder müssen deshalb ins Krankenhaus. Mit weltweit 400.000 bis 600.000 Todesfällen sind Rotaviren bei Kindern unter fünf Jahren die dritthäufigste Todesursache in Entwicklungsländern. In Deutschland ist die Sterblichkeit mit jährlich ein bis zwei Fällen zum Glück gering, die Erkrankungshäufigkeit aber ebenfalls beträchtlich.

Allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2013 wurden dem Robert-Koch-Institut Berlin 26.893 Krankheitsfälle gemeldet, rund 6.000 mehr als im Jahr zuvor. Diese Zahlen stellen jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar, betont die Stiftung Kindergesundheit. Die tatsächliche Anzahl der Infektionen liegt noch wesentlich höher, denn die Rotaviren werden nur bei einem kleinen Teil der erkrankten Kinder nachgewiesen und gemeldet.

Die Viren sind extrem ansteckend

Meistens werden die Durchfallerreger durch die stuhlverschmierten Hände übertragen, aber auch durch Gemeinschaftshandtücher (z. B. auch in Kindergärten). Rotaviren gelten als extrem ansteckend: In einem Milliliter Kinderstuhl können sich 100.000.000.000 Viren befinden – zehn davon reichen schon zur Infektion! Möglich ist die Ansteckung auch – wie bei einer Erkältung – durch Husten, Niesen und Speichel oder über Gegenstände, wie Kinderspielzeug.

Nach der Ansteckung beginnen die Krankheitssymptome innerhalb von eineinhalb bis drei Tagen. Die tückischen Viren setzen sich in den Darmzellen fest und lähmen die Arbeit der empfindlichen Darmschleimhaut. Sie kann immer weniger Nahrung und Wasser aufnehmen. Meist geht es mit heftigem Erbrechen los, dem dann kurz darauf schleimig-wässriger, häufig grünlicher und intensiv riechender Durchfall folgt. Mehr als 20 Brech- oder Durchfallepisoden pro Tag sind möglich. Mit dem flüssigen Stuhl werden auch lebenswichtige Mineralien (Elektrolyte) aus dem Körper geschwemmt, was im extremen Fall zu Organversagen führen kann. Der Durchfall dauert zwei bis sechs Tage.

Oft harmlos, manchmal lebensgefährlich

Die Schwere der Erkrankung reicht vom harmlosen Verlauf mit nur milden Beschwerden bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen. Das ist der Fall, wenn der Körper aufgrund des hohen Wasser- und Salzverlustes durch Erbrechen und Durchfälle regelrecht austrocknet. Das Tückische dabei: Auch eine vermeintlich leichte Rotavirus-Infektion kann über Nacht plötzlich lebensbedrohliche Ausmaße annehmen und eine Einlieferung des Kindes in ein Krankenhaus erforderlich machen, um dort die verlorene Flüssigkeit am Tropf wieder auszugleichen.

Professor Dr. Johannes Liese, Infektionsspezialist der Universitäts-Kinderklinik Würzburg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI): „Je jünger das Kind, umso größer ist das Risiko einer Entgleisung des Körpersalz-Haushaltes und eines hohen Flüssigkeitsverlustes mit möglicherweise schweren Folgen“.

Nach aktuellen Erhebungen von ESPED, einer Forschungsstelle zu seltenen schweren Erkrankungen bei Kindern, können auch bei Rotavirus-Erkrankungen Komplikationen auftreten, die eine längere Krankenhausaufnahme und eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich machen. Die Impfung gegen Rotaviren kann den betroffenen Babys und ihren Eltern diese schwere Belastung ersparen: Nach den bisherigen Erfahrungen verhindern die beiden zugelassenen Schluckimpfstoffe 92 Prozent der Klinikaufenthalte und bietet einen 91-prozentigen Schutz vor schweren akuten Brechdurchfällen durch Rotaviren.

Sachsen impft schon seit fünf Jahren

Die sächsische Impfkommission (SIKO) empfiehlt die Rotavirus-Impfung bereits seit 2008 als Standardimpfung. Wenig später nahmen die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen die Rotavirus-Impfung in die Liste der empfohlenen Impfungen auf. Bereits jetzt sind in den neuen Bundesländern die positiven Effekte mit einer Verringerung von über 50% von Rotavirus-bedingten Krankenhausaufnahmen klar erkennbar. Seit 2009 empfiehlt die Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation die Aufnahme einer generellen Rotavirus-Impfung von Säuglingen weltweit in die nationalen Impfprogramme.

In den USA wurde bereits 1998 der erste Impfstoff gegen Rotaviren eingeführt, der allerdings aus Sicherheitsgründen wieder vom Markt genommen wurde: Nachdem mehr als eine Million Kinder erfolgreich geimpft worden waren, entdeckte man unter den geimpften Kindern mehr Fälle der seltenen Komplikation Invagination (= Darmeinstülpung), als es zu erwarten war.

Um auch solche, äußerst seltenen Komplikationen auszuschließen, wurden die nächsten beiden Impfstoffe in großen internationalen Studien bei jeweils mehr als 60.000 teilnehmenden Kindern untersucht. Diesmal mit erfreulichem Ergebnis: Diese von der Europäischen Gesundheitsbehörde zugelassenen Impfstoffe erwiesen sich beide als sicher und effektiv.

Das Paul-Ehrlich Institut hat als Zulassungsbehörde die Sicherheit der Rotavirus Impfung beurteilt: „Nach dem derzeitigen Kenntnisstand wird davon ausgegangen, dass eine orale Rotavirus-Impfung mit einem geringfügig erhöhten Risiko für das Auftreten einer Invagination (Darmeinstülpung), insbesondere innerhalb der ersten sieben Tage nach der ersten Impfung, verbunden ist (geschätzt ein bis zwei zusätzliche Fälle auf 100.000 Geimpfte).“ Daher müssen die Ärzte vor der Verordnung der Schluckimpfung die Eltern ihrer kleinen Patienten darüber aufklären, welche Symptome auf den extrem seltenen Fall einer Darmeinstülpungen (Invagination) hinweisen könnten.

Dieses Risiko ist sehr viel geringer als an einer schweren, kompliziert verlaufenden Rotavirus-Infektion zu erkranken, womit der Benefit der Rotavirus-Schluckimpfung unumstritten bleibt.

Die Impfstoffe sollen frühzeitig, d.h. möglichst ab der 6. Lebenswoche bis spätestens vor Vollendung des 6. Lebensmonat verabreicht werden, je nach verwendetem Präparat durch zwei bzw. drei Gaben im Abstand von mindestens vier Wochen. Sie sind gut verträglich und können gleichzeitig mit der Sechsfachimpfung und Pneumokokken-Konjugat-Impfung gegeben werden.

Das wichtigste Ziel der Impfempfehlung der STIKO ist, die hohe Rate der Krankenhausaufenthalte durch Rotavirus-Erkrankungen bei unter fünfjährigen Kindern zu verringern.

Eine Modellrechnung des Robert Koch-Instituts kommt zu folgenden Zahlen:
Wären 80 Prozent aller 659.000 im Jahr 2012 geborenen Babys gegen Rotaviren geimpft worden sein, hätte es fünf bis zehn Fälle an Darmeinstülpungen (Invaginationen) gegeben. Die Schluckimpfung hätte gleichzeitig 18.250 Babys die Einlieferung in ein Krankenhaus erspart, 31.000 Babys hätten keine ärztliche Behandlung benötigt und 224.036 Babys wären von einem Brechdurchfall durch Rotaviren verschont geblieben.

Die Impfung schützt die ganze Familie

„Von der Impfung profitiert nicht nur das Baby, sondern seine ganze Familie“, konstatiert Professor Dr. Johannes Liese. „Ein unter Durchfall leidendes Baby oder Kleinkind benötigt immer eine intensive Pflege und Betreuung. Die Eltern fühlen sich oft hilflos und überfordert und haben Angst um ihr krankes Kind. Häufig erfasst die Virusinfektion nach und nach auch die Geschwister, die Eltern und manchmal sogar die als Helfer einspringenden Großeltern“.

Die STIKO-Empfehlung zur Rotavirus-Schluckimpfung aller Kinder wird im Epidemiologischen Bulletin des RKI im August veröffentlicht. Zu einer offiziellen Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird die Rotavirus-Impfung allerdings erst mit dem Inkrafttreten des dazu notwendigen Beschlusses des G-BA, des gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Die entsprechende Entscheidung der G-BA dürfte aber noch bis November erfolgen, so dass möglicherweise noch in diesem Jahr mit dem Beginn des wichtigen Impfprogrammes gegen Rotaviren für alle Säuglinge gerechnet werden kann.

Quelle: Stiftung Kindergesundheit

Mehr Informationen finden Sie unter:
www.kindergesundheit.de

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