Viele Jahre lang hieß es: Kinder müssen unbedingt ganz strikt vor Hausstaub und Pollen, vor Tierhaaren, Eiern, Fisch und Nüssen, vor Schmutz und Bakterien geschützt werden. Nur so bleiben sie gesund, nur so kriegen sie keine Allergie, glaubte man. Von wegen! Heute gibt es mehr Allergien als jemals zuvor. Und die Experten denken um:
Noch vor zwanzig Jahren lautete die Empfehlung, potentielle Allergene strikt zu meiden: „Besonders wichtig ist es, dass Mütter aus Atopiker-Familien während der Schwangerschaft und der Stillzeit auf hoch allergene Nahrungsmittel wie Milch, Eier, Fisch und Nüsse verzichten.
Denn man weiß inzwischen, dass das Baby nicht nur wichtige Abwehrstoffe, sondern möglicherweise auch Allergene von der Mutter übertragen bekommen kann“, hieß es in einem Ratgeber damals. Die Kinder sollten möglichst spät „Beikost“, wie Gemüse, Obst, Getreide und Nudeln zugefüttert bekommen und es wurde gewarnt: „Allergenreiche Nahrungsmittel wie Milch, Eier und Fisch sollte das Kind frühestens im Alter von neun bis zwölf Monaten bekommen“.
Diese Strategie der strengen Karenz erwies sich jedoch als nahezu wirkungslos. „Allergische Erkrankungen, wie allergisches Asthma, Heuschnupfen und das atopische Ekzem haben auch im letzten Jahrzehnt in den westlichen Industrienationen weiter zugenommen.
Die Ursachen für die Entwicklung und Zunahme sind nach wie vor weitgehend ungeklärt“, heißt es dazu in den zurzeit gültigen „Leitlinien zur Allergieprävention“. Was bleibt also von den bisherigen Ratschlägen weiter gültig? Und was empfiehlt die Wissenschaft heute? Die Stiftung Kindergesundheit hat die aktuellen, evidenzbasierten Empfehlungen zur Vorbeugung zusammengestellt.
Für den Nutzen von Beschränkungen von Nahrungsmitteln zur Meidung von Allergenen während der Schwangerschaft und in der Stillzeit gibt es keine Belege: „Schwangere sollten sich nach Lust und Laune, freilich möglichst ausgewogen und abwechslungsreich ernähren“, empfiehlt Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Gesundheit. Spezielle Lebensmittel oder Nahrungsergänzungen sind in aller Regel nicht notwendig. Bis auf wenige Ausnahmen, die mit Supplementen zugeführt werden sollten, wie Folsäure und Jod, und bei manchen Frauen auch Eisen und die omega-3 Fettsäure DHA, kann der Bedarf an gesunden Nährstoffen über die normalen, überall erhältlichen Lebensmittel gedeckt werden.
Keine andere Nahrung schützt so gut vor wie die Muttermilch. Bereits die Erstmilch („Kolostrum“) liefert Abwehrstoffe gegen Viren, Bakterien und andere körperfremde Antigene. Muttermilch schützt das Baby vor Durchfall, Lungenentzündung und Mittelohrentzündung und beschleunigt die Reifung des Immunsystems.
Professor Koletzko: „Im Idealfall sollte jedes Baby mindestens für die ersten sechs Monate gestillt werden und die ersten vier Monate ausschließlich Muttermilch bekommen. Wenn Stillen nicht oder nicht ausreichend möglich ist, wird normale Säuglingsnahrung gefüttert. Nicht (voll) gestillte Babys, in deren Familie ein Allergierisiko besteht (das heißt mindestens ein Elternteil oder ein Geschwisterkind hat eine nachgewiesene Allergie), sollten eine hypoallergene (HA) Nahrung erhalten. Säuglingsnahrungen auf der Basis von Sojaeiweiß, Ziegen-, Stuten- oder einer anderen Tiermilch sind zur Allergievorbeugung nicht zu empfehlen“.
Ein Babyhaushalt muss nicht porentief rein sein. Sauberkeit und regelmäßiges Händewaschen sind natürlich wichtig, aber eine übertriebene Keimbekämpfung mit Desinfektionsmitteln ist für einen gesunden Säugling nicht notwendig. Zur Vorbeugung werden Maßnahmen zur Verringerung der Hausstaubmilben in der Wohnung nicht mehr empfohlen; bei bereits nachgewiesener Allergie bleiben sie jedoch sinnvoll.
Weiter gilt: Schimmel und Feuchtigkeit haben im Babyhaushalt nichts zu suchen und die Belastung durch Luftschadstoffe sollte möglichst klein gehalten werden. Das bedeutet: Lösungsmittelarme Lacke und Farben verwenden; bei Wohnungen an stark befahrenen Straßen nur zu verkehrsarmen Zeiten mehrmals kurz am Tag lüften (kein Dauerlüften).
Wer in der Schwangerschaft raucht, gibt dem Ungeborenen eine schwere Hypothek mit. Die Kinder rauchender Mütter erkranken später besonders häufig an Asthma und Allergien. Allein durch den Verzicht auf die Zigarette könnte einer von sieben Asthmaanfällen verhütet werden. Wer sein Kind vor Allergien schützen will, sollte deshalb aufs Rauchen verzichten – das gilt für alle Personen im Haushalt, also auch für den Vater!
Bisher hieß die Parole der Experten: Bei Allergierisiko muss man auf Haustiere verzichten, am besten schon, bevor das Baby geboren wird. Mittlerweile hat man herausgefunden, dass gerade Kinder, die schon am Anfang ihres Lebens mit Heimtieren und ihren Allergenen in Kontakt kommen, später seltener eine allergische Sensibilisierung dagegen entwickeln. In Familien ohne Vorbelastung (die besteht, wenn mindestens ein Elternteil oder ein Geschwister Asthma, Heuschnupfen oder Neurodermitis hat), gibt es keinen Grund mehr, auf ein Haustier zu verzichten. Lediglich in Risikofamilien sollte auf Felltiere lieber verzichtet werden. Als besonders riskant gelten Katzen.
„Impfungen führen nicht zu einer erhöhten Gefahr von Allergien“ unterstreicht Professor Koletzko mit großem Nachdruck: „Im Gegenteil: Sie können das Kind sogar vor Allergien schützen. Deshalb sollten alle Kinder, also auch die Babys aus allergischen Risikofamilien nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission STIKO geimpft werden“.
Um den Bedarf an Eisen zu decken sollte fünfmal in der Woche Fleisch als Zutat im Brei des Babys enthalten sein. Neu ist die Empfehlung, den Fleischbestandteil im Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei ein- bis zweimal pro Woche durch Fisch auszutauschen. Auch schwangere Frauen und stillende Mütter sollten öfter Fisch verzehren, sagt Professor Koletzko: „Fischkonsum in der Schwangerschaft und Stillzeit und während des ersten Lebensjahres des Babys schadet nicht, sondern scheint sogar schützende Effekte vor allergischen Erkrankungen zu haben. Besonders empfehlenswert sind fettreiche Seefische wie Lachs, Hering, Makrele und Sardine, welche hohe Mengen der wertvollen omega-3 Fettsäure DHA enthalten. Der Konsum großer Raubfische wie Thunfisch oder Schwertfisch kann allerdings aufgrund einer höheren Schadstoffbelastung nicht empfohlen werden“.
Die bisherige Vorstellung, dass durch zu frühes Zufüttern von Beikost das Allergierisiko erhöht wird, hat sich als falsch erwiesen. Die neue Empfehlung lautet: „Beikost sollte frühestens mit Beginn des fünften, spätestens mit Beginn des siebten Monats eingeführt werden“.
Hinter der ungewöhnlich genauen Zeitangabe verbirgt sich die Erkenntnis, dass es im Alter von vier bis sechs Monaten eine Art Zeitfenster für die Entwicklung einer immunologischen Toleranz gegenüber Allergenen gibt. In dieser Zeit werden auch potentiell allergene Lebensmittel wie Kuhmilch, Fisch oder Eigelb offenbar besonders gut vertragen.
Das gilt auch für die Einführung von glutenhaltiger Getreidebeikost, besonders, wenn das Baby auch noch weiter gestillt wird. Professor Koletzko: „Das geringste Risiko für Zöliakie haben Babys, die ab dem fünften Monat und zunächst in kleinen Mengen Gluten bekommen und die auch nach der Gluteneinführung weiter gestillt werden“.
Die Einführung von Beikost bedeutet aber nicht Abstillen, sondern die schrittweise Verminderung der Stillmahlzeiten. Auch Babys, die schon Brei- und Löffelkost bekommen, sollten so lange weiter gestillt werden, wie Mutter und Kind es möchten. Es darf übrigens alles auf den Löffel, was dem Baby schmeckt! Werden die Gemüsesorten in der Beikost variiert, sind die Kinder später eher bereit, auch neue, ihnen bis dahin nicht bekannte Lebensmittel zu akzeptieren, hofft die Stiftung Kindergesundheit.
Mehr Informationen hierzu finden Sie unter:
Stiftung Kindergesundheit – www.kindergesundheit.de
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