18.12.12 (ams). Bei autistischen Störungen denken viele Menschen an den Film „Rain Man“ mit Dustin Hoffmann. Der Oscar-Preisträger verkörpert darin den extrem introvertierten Raymond, der monoton spricht, aber dafür ein phänomenales Zahlengedächtnis hat. Doch längst nicht alle Autisten sind hochbegabt. „Es gibt ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen dieser Entwicklungsstörung“, sagt Dr. Astrid Maroß, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im AOK-Bundesverband. Am häufigsten ist der frühkindliche Autismus, der in den ersten drei Lebensjahren beginnt.
Der amerikanische Kinderpsychiater Leo Kanner hat den frühkindlichen Autismus 1943 erstmals beschrieben; daher wird er auch als Kanner-Syndrom bezeichnet. Nach Angaben des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte sind etwa 17 von 10.000 Kindern davon betroffen, vor allem Jungen. Eine leichtere autistische Störung ist das Asperger-Syndrom, das bei Kindern im Kindergarten- oder Grundschulalter einsetzt. Sie sind meist normal bis überdurchschnittlich intelligent, während bei einem Viertel bis der Hälfte der Kinder mit frühkindlichem Autismus die Intelligenz gemindert ist. Sie können oft nicht oder nur wenig sprechen. Daneben gibt es weitere Formen autistischer Störungen.
Bei den meisten Autisten zeigen sich folgende drei Hauptmerkmale:
Schwierigkeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen
Gestörte Kommunikation und Sprache
Eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster
Zusätzlich haben viele autistische Kinder bereits im frühen Säuglingsalter Probleme mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus und der Nahrungsaufnahme. Sie fallen durch Schreien und starke Erregbarkeit auf. Später können Wutausbrüche, Aggressionen und ein Hang zur Selbstverletzung dazukommen.
Die Ursachen der Störung sind bisher nicht eindeutig geklärt. Wissenschaftler vermuten, dass genetische Veränderungen zu einer Entwicklungsstörung des Gehirns führen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass ein höheres Alter der Mutter oder des Vaters bei der Geburt des Kindes das Risiko für eine autistische Störung erhöht. Nicht bestätigt hat sich hingegen die frühere Annahme, dass Kinder erkranken, weil sich ihre Eltern „kalt“ verhalten oder ihren Nachwuchs ablehnen.
Durch ihren Mangel an Einfühlungsvermögen und Kontaktfähigkeit wirken Autisten manchmal gefühlskalt. „Das sind sie aber nicht, sondern sie haben Schwierigkeiten, eigene Gefühle auszudrücken oder Gefühle anderer richtig zu interpretieren“, sagt AOK-Ärztin Maroß. Doch so schwierig es für andere Menschen ist, Autisten zu verstehen, so wenig verstehen diese die Menschen um sich herum. Sie fühlen sich wie in einer fremden, chaotischen Welt oder wie auf einem fremden Planeten. Sie müssen Körpersignale anderer Menschen lernen wie Vokabeln.
Autismus ist nicht heilbar, sondern begleitet die Betroffenen und ihre Familien ein Leben lang. „Eine rechtzeitige Diagnose ist allerdings wichtig, denn frühzeitige Förderung kann einiges bewirken“, sagt Maroß. Die Fachärztin empfiehlt Eltern, beim Verdacht auf eine autistische Störung zu einem Kinder- und Jugendpsychiater zu gehen. Der Arzt befragt die Eltern zunächst gezielt nach typischen Verhaltensweisen. Ein umfassendes Bild macht er sich außerdem durch Fragebögen und indem er das Kind genau beobachtet, etwa beim Spielen. Durch weitere Untersuchungen schließt er andere Erkrankungen oder Störungen aus. Zudem überprüft er Intelligenz, Sprachentwicklung und Motorik. Eine Therapie zielt vor allem darauf ab, die Entwicklung der Betroffenen zu fördern und ihnen zu ermöglichen, ein möglichst selbstständiges Leben zu führen. Die Eltern und Betreuer sollten in die Behandlung einbezogen werden. Während sich mit Medikamenten lediglich Begleiterscheinungen lindern lassen, kann ein Verhaltenstraining autistischen Kindern helfen, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und sich mit ihnen zu verständigen. Zurzeit werden verschiedene Verfahren angewandt. Bei manchen Ansätzen wird beispielsweise erwünschtes Verhalten belohnt. Auch pädagogische Förderkonzepte kommen zum Einsatz. Je nach individueller Konstellation können die Kinder im Rahmen von einem therapeutischen Gesamtkonzept auch mit Ergotherapie, Logopädie oder kreativen Angeboten gefördert werden.
„Wichtig ist auch eine Beratung der Eltern, die stark belastet sind“, sagt Maroß. Denn viele Autisten benötigen auch noch als Erwachsene umfassende Unterstützung in allen Lebensbereichen. Im Alltag sind die Eltern mit vielen Problemen konfrontiert, die das Familienleben einschränken. Wegen ihres Verhaltens fallen Kinder mit frühkindlichem Autismus bereits im Kindergarten auf, danach besuchen sie meist eine Förderschule.
„Der Umgang mit autistischen Menschen erfordert Geduld und viel Verständnis“, weiß AOK-Psychiaterin Maroß. Regelmäßige Abläufe geben einem autistischen Kind Sicherheit. Eltern, Betreuer, Erzieher und Lehrer sollten daher darauf Rücksicht nehmen und eine Atmosphäre schaffen, in der sich das Kind wohlfühlt. Damit es sich beispielsweise langsam an den Kindergarten gewöhnen kann, empfiehlt es sich, es anfangs nur stundenweise dort zu betreuen und die Betreuungszeit dann schrittweise auszuweiten. Sinnvoll ist es, wenn sich die Erzieherinnen und später die Lehrer eng mit den Eltern absprechen. Um die Eingewöhnung zu erleichtern, kann die Mutter dem Kind anfangs gewohnte Speisen mitbringen. Ratsam ist es auch, dem Kind einen Raum zu zeigen, in den es sich zurückziehen kann. Im Gespräch mit einem autistischen Jungen oder Mädchen ist es wichtig, sich klar zu äußern und dem Kind Zeit zu geben zu reagieren. Drohungen sollten vermieden werden.
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