Im Mai 2012 entschied das Landgericht Köln, dass die Beschneidung eines Vierjährigen aus religiösen Gründen einen Fall von Körperverletzung darstellt. Der Bundestag hat die Bundesregierung daraufhin aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Dieser soll sicherstellen, dass die medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen zulässig ist. Das Bundesjustizministerium hat jetzt ein Eckpunktepapier vorgelegt und innerhalb einer nur fünftägigen Frist um Stellungnahme gebeten. Diese hat die DGKCH dafür genutzt, sich dazu zu äußern.
Dem Ministerium zufolge umfasse die Personensorge durch die Eltern auch, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung einzuwilligen, sofern diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolge – ausgenommen, das Kindeswohl sei gefährdet. „Der Gesetzgeber plant hier, einen nachweislich irreversiblen körperlichen Eingriff für harmlos zu erklären“, schildert Professor Dr. med. Jörg Fuchs, Präsident der DGKCH aus Tübingen die Auffassung der DGKCH. Damit missachte er seriöse wissenschaftliche Stellungnahmen zu den Folgen medizinisch nicht notwendiger Zirkumzisionen. Bei Kindern habe der Eingriff keinerlei gesundheitlichen Nutzen, ist unumkehrbar und mit Schmerzen sowie einem Sensibilitätsverlust verbunden. „Er bürdet dem Kind medizinisch nicht notwendige Risiken auf und liegt nicht im Kindeswohl“, sagt Fuchs.
Besonders kritisch sieht die DGKCH auch ein weiteres Vorhaben des BMJ: Bis zu sechs Monate alte Säuglinge dürfen danach auch von Personen beschnitten werden, die keine Ärzte sind. „Diese Altersgrenze ist absolut nicht nachvollziehbar und die Beschneidung verliert dadurch den Status eines medizinisch-operativen Eingriffs“, betont Professor Dr. med. Maximilian Stehr, Kinderchirurg aus München. Beides laufe Kinderschutz und Kinderrechten in Deutschland zuwider. „Wir erkennen hier auch überhaupt nicht, inwieweit der medizinische Sachverstand von Experten berücksichtigt wurde“, ergänzt der Vorsitzende der AG Kinderurologie der DGKCH.
Für hoch problematisch hält die DGKCH das Vorgehen, ausdrücklich „keine Sonderregelung für religiös motivierte Beschneidungen“ zu verfassen und bewusst die religiöse Motivation der Eltern auszuklammern. „Denn wenn allein der elterliche Wille maßgeblich wird, sind Fehlentscheidungen Tür und Tor geöffnet“, erläutert Professor Fuchs. Zukünftig könnten sich Eltern danach aus ästhetischen oder hygienischen Gründen für eine Beschneidung entscheiden. Damit würde Elternrecht über grundrechtlich fixiertes Kinderrecht gestellt.
Dem Gesetzentwurf zufolge setze die Einwilligung zur Beschneidung eine wirksame Schmerzbehandlung voraus und verpflichtet den Beschneider zur Aufklärung der Eltern. Beides sind bereits geltende Standards. „Eine medizinisch nicht indizierte Operation wird also deshalb nicht zur strafbaren Körperverletzung, weil sie ordentlich durchgeführt wird?“, fragt Professor Fuchs. Dass der entgegenstehende Wille des Kindes auch berücksichtigt werden kann, nicht aber berücksichtigt werden muss, sei schlicht als Ignoranz der Kinderrechte anzusehen. Wie die betroffenen Säuglinge dem Ausdruck verleihen könnten, bleibe das Papier des Ministeriums schuldig, so die DGKCH. „Wer eine medizinisch nicht notwendige Zirkumzision vornehmen will, muss jedoch die Beweislast für die Harmlosigkeit und Ungefährlichkeit des Eingriffs tragen“, betont Professor Fuchs.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie – www.dgkch.de
Gegründet im Jahr 1963, schafft die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) bis heute Grundlagen für eine bestmögliche kinderchirurgische Versorgung in Deutschland. Dazu gehören Neugeborenenchirurgie, allgemeine Kinderchirurgie und Kindertraumatologie ebenso wie Kinderurologie. Die DGKCH vertritt das Fach in allen wissenschaftlichen, fachlichen und beruflichen Belangen. Derzeit praktizieren hierzulande Fachärzte für Kinderchirurgie in mehr als 80 kinderchirurgischen Kliniken, Abteilungen und als Niedergelassene. Kinderchirurgie gehört in die Hände von Kinderchirurgen. Denn ihre Patienten sind keine kleinen Erwachsenen.
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