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Auf dem Weg zum Designerbaby? – Potenzial und Konsequenzen von Genanalysen

Erbkrankheiten wie Trisomie 21 lassen sich inzwischen sicher im Blut der Mutter nachweisen. 90 % aller Feten mit dieser Besonderheit werden abgetrieben. Mit den wissenschaftlichen Fortschritten auf dem Gebiet der Genetik wird es immer einfacher, auch andere drohende Behinderungen per Bluttest nachzuweisen. Kommen bald nur noch gesunde Kinder zur Welt, weil alle übrigen Schwangerschaften abgebrochen werden?

Prof. Dr. Jörg Epplen vom Lehrstuhl für Humangenetik der Ruhr-Universität Bochum bezieht Stellung zu dieser Frage, erklärt die Konsequenzen der immer besser werdenden genetischen Analysen und rät dringend, dass Beratungsangebot für Schwangere auszubauen.

Er sagt: Auch mit modernster Technik gibt es keine Garantie für ein gesundes Kind.

Wird es in zehn Jahren noch Neugeborene mit genetisch bedingter Behinderung geben?

Persönliches Leid aufgrund von erblichen Erkrankungen und Behinderungen aller Art zu vermeiden, wird in absehbarer Zukunft immer häufiger möglich werden. Bluttests bei werdenden Müttern und Sequenzanalysen des Erbguts werden zunehmend tauglich (und erschwinglicher). Also wird zukünftig theoretisch ein stetig höherer Prozentsatz der Neugeborenen frei von erblichen Behinderungen sein, 97 % der Neugeborenen sind es ja ohnehin qua Natur. Ist demnach eine uneingeschränkt positive Entwicklung vorauszusagen, möglich durch Fortschritte in der modernen molekulargenetischen Forschung?

Trisomie 21 (Down-Syndrom)

Trisomie 21 (Down-Syndrom) ist heute bereits praktisch sicher aus dem Blut der Schwangeren ab der 10. Schwangerschaftswoche vorhersagbar. Damit erscheinen nicht nur weitere Diagnosen für chromosomale Störungen unmittelbar realistisch, sondern letztlich auch Gesamtgenomanalysen ohne invasive Maßnahmen wie Fruchtwasser- oder Mutterkuchen-Untersuchung. Können also damit alle schwerwiegenden Erbleiden ausgerottet werden? Nein! Rein theoretisch könnten derzeit beinahe 4 000 der schätzungsweise 7 000 Erbkrankheiten im engeren Sinn erfasst werden, da die pathologischen Veränderungen in den jeweiligen Erbmerkmalen (Genen) bekannt und katalogisiert sind. Eine Schwierigkeit in der Interpretation von Sequenzbefunden sind allerdings DNA-Variationen mit unbekannter Bedeutung für die Krankheitsentwicklung. Mehrere Dutzend solcher DNAVariationen werden in jeder neuen Genomanalyse angetroffen; nicht alle diese Variationen sind ererbt, sondern einige stellen sogenannte Neumutationen beim untersuchten Individuum dar. Die Programme zur Vorhersage der Krankheitsbedeutung neuer DNAVariationen sind derzeit mitunter widersprüchlich und daher insgesamt noch völlig unzureichend. Unzählige DNA-Sequenzauffälligkeiten entziehen sich komplett konkreten Aussagen zu ihrer Bedeutung für den Träger.

Für sogenannte multifaktoriell bedingte Leiden (mehrere Gene plus Umweltfaktoren sind beteiligt), wie zum Beispiel den Hauptformen der Blutzucker- (Typ 1), Bluthochdruck-, Parkinson- bzw. Alzheimer-Erkrankungen, sind die genetischen Beiträge erst noch zu definieren. Signifikante Fortschritte in diesen zahlenmäßig so überwiegenden Krankheitsbereichen sind in den nächsten drei bis fünf Jahren nicht zu erwarten. Insbesondere fehlt derzeit jegliches Konzept für sehr seltene DNA-Sequenzabweichungen und vielmehr noch für die Interaktionen von zweien oder gar mehreren dieser Sequenzvariationen. Es bedarf hier eines Quantensprungs in den Interpretationsmöglichkeiten anhand neuer biostatistischer Verfahren. Alle genannten Techniken betreffen zudem nur die erblich bedingten Erkrankungen bzw. Behinderungen, nicht aber erworbene Behinderungen, zum Beispiel durch intrauterine Infektionen oder Frühgeburten. Die „Garantie“ für ein gesundes Kind wird daher auch mit modernster Technologie nicht möglich sein.

Spät eintretende, monogen bedingte Erkrankungen, hervorgerufen durch Mutationen (Erbsprünge) mit 100-prozentiger Durchschlagskraft (Penetranz), wurden seit über 20 Jahren auch schon vorgeburtlich diagnostiziert. Die Aussagekraft der DNA-Tests etwa bei der Huntington-Erkrankung ist praktisch sicher – schwarz oder weiß. Aber unsicher bleibt, wann genau das Krankheitsbild einsetzt. Auch innerhalb ein und derselben Familie kann der Erkrankungsbeginn um 30 Jahre und mehr unterschiedlich sein. Höchstens 10 bis 20 % der Huntington-Risikopersonen fragen überhaupt nach dem vorhersagenden Gentest und kommen in die humangenetische Beratung. Mindestens die Hälfte der ausführlich beratenen Risikopersonen entscheidet sich dann aber gegen den genetischen Test, Tendenz steigend. Warum? Ist es die Angst, dass die Information zum Arbeitgeber oder Versicherungen etc. gelangt? Ist es der Tatsache geschuldet, dass immer mehr Personen familiär weitgehend ungebunden in single-Haushalten leben, ohne in absehbarer Zeit Nachwuchs zu planen? Das Recht auf Nichtwissen wird demzufolge ganz überwiegend für sich selbst in Anspruch genommen. Aber warum steigt in den letzten Jahren die Tendenz zum Nicht-wissen-Wollen? Antworten auf diese Fragen werden erst von aktuellen Forschungsprojekten erwartet. Eine Entscheidung für die Gewissheit über genetisch Krankheitsanlagen fällt natürlich umso schwerer, je unklarer die Konsequenzen aus einem Gentest sind. Also keine Schwarz-Weiß-Ergebnisse sondern grau, mitunter etwas dunkler oder etwas heller.

Offensive Werbung für Internet-Gentests (direct to consumer) verheißt einfache Antworten auf Fragen, deren Bedeutungsinhalte im Vorhinein nicht ohne weiteres sofort zu überschauen sind, und schon gar nicht bezüglich der Konsequenzen aus der Tatsache, dass einmal erlangtes Wissen nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Das Gendiagnostik-Gesetz (GenDG) setzt in Deutschland eigentlich klare Grenzen für Gentests sowie die obligatorische genetische Beratung. Ausführlich von speziell geschulten Beratern durchgeführt schafft die persönlich zugeschnittene Information für Ratsuchende, insbesondere auch für Schwangere (und ggf. deren Partner), eine tragfähige individuelle Entscheidungsgrundlage bezüglich vorgeburtlicher und prädiktiver DNA-Tests sowie deren möglicher Konsequenzen.

Derzeit werden über 90 % der Feten mit Trisomie 21 abgetrieben. Lassen wir in diesem Zusammenhang aber bitte auch nicht außer Acht, dass in Deutschland 2011 von 108 867 gemeldeten Schwangerschaftsabbrüchen lediglich 3 485 aus medizinischer Indikation durchgeführt wurden.

Die Beratungssituation jeder einzelnen Schwangeren müsste dringend optimiert werden.

Jörg T. Epplen, Susanne Stemmler, Sabine Hoffjan Humangenetik, Ruhr-Universität Bochum

 

Über den Forscher

Prof. Epplen studierte Medizin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, wo er sich 1977 promovierte. Von 1980 bis 1983 arbeitete er am City of Hope Research Institute in Kalifornien. Anschließend leitete er die Nachwuchsgruppe Krebsforschung am MPI Immunbiologie in Freiburg und die Arbeitsgruppe Molekulare Immunologie am MPI Psychiatrie in München. Seit 1991 hat er die Professur für Humangenetik an der Ruhr-Universität Bochum inne, wo speziell geschulte Ärzte eine genetische Beratung anbieten: Sie schätzen das Risiko für eine Erbkrankheit ein und klären über deren Verlauf und Folgen sowie Möglichkeiten zur Diagnostik und Behandlung auf. Auch die gegebenenfalls notwendigen Genanalysen werden am Lehrstuhl durchgeführt. Ein Forschungsschwerpunkt von Prof. Epplen liegt auf der Huntington-Krankheit; er ist Mitglied des 1993 gegründeten Huntington Zentrums NRW.

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