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UNICEF-Vergleichsstudie 2012: Reiche Länder – arme Kinder

Brüssel/ Köln, den 29. Mai 2012. Rund 30 Millionen Kinder wachsen in den 35 reichsten Staaten der Welt in relativer Armut auf, fast 1,2 Millionen dieser Mädchen und Jungen leben in Deutschland. Ungefähr ebenso viele Kinder in Deutschland entbehren notwendige Dinge wie regelmäßige Mahlzeiten oder Bücher. Dies sind Ergebnisse der neuen UNICEF-Studie „Kinderarmut messen – Neue Ranglisten der Kinderarmut in den reichen Ländern der Welt“. Neben der relativen Einkommensarmut dokumentiert UNICEF darin mit Hilfe eines so genannten Deprivationsindex erstmals auch umfassend absolute Mangelsituationen von Kindern. Demnach erhält in Deutschland zum Beispiel eines von 20 Kindern keine tägliche warme Mahlzeit. Insgesamt schneidet Deutschland bei diesem Vergleich – ähnlich wie in früheren Studien – nur mittelmäßig ab

„Es ist enttäuschend, dass Deutschland es nicht schafft, die materiellen Lebensbedingungen für Kinder entscheidend zu verbessern“, sagte Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. „In Zeiten der Haushaltskonsolidierung tut es besonders Not, gezielt die am meisten benachteiligten Kinder zu unterstützen. Bund, Länder und Kommunen müssen sich gemeinsam klare Ziele mit Zeitangaben setzen, um Armut und Ausgrenzung Schritt für Schritt abzubauen. In reichen Industrieländern sollte kein Kind notwendige Dinge entbehren müssen.“

Der Index der Entbehrungen

Der Deprivationsindex erfasst insgesamt 14 verschiedene Güter oder Angebote wie ein Platz für Hausaufgaben, Internetanschluss oder Freizeitaktivitäten zum Beispiel in einem Sportverein und soll so die Lebenswirklichkeit armer Kinder in reichen Ländern konkreter abbilden. Basis ist eine repräsentative Erhebung der Europäischen Union, für die 125.000 Haushalte erstmals nach Daten zu Kindern befragt wurden. Rund 13 Millionen Kinder in 29 Industrieländern entbehren mehr als zwei dieser grundlegenden Dinge. Dies wird als Hinweis auf eine besondere Mangelsituation bewertet. In Deutschland liegt dieser Anteil bei 8,8 Prozent. Beim Ländervergleich belegt Deutschland Platz 15 von 29 Ländern und schneidet deutlich schlechter ab als Dänemark (2,6 Prozent) oder Schweden (1,3 Prozent), obwohl die Länder hinsichtlich des Pro-Kopf-Einkommens und der wirtschaftlichen Entwicklung auf einem ähnlichen Niveau liegen. Im Vergleich zu Schweden (das nach Island auf Platz 2 dieser Rangliste liegt) ist die Deprivationsrate hierzulande sogar fast sieben Mal höher. Besser als in Deutschland geht es auch Kindern in Großbritannien, obwohl dort die Pro-Kopf-Einkommen im Schnitt niedriger liegen als bei uns. Die höchsten Deprivationsraten finden sich in den ärmeren Staaten Europas wie Rumänien, Bulgarien und Ungarn.

Am häufigsten mangelt es Kindern hierzulande an regelmäßigen Freizeitaktivitäten (6,7 Prozent). Nahezu eins von 20 Kindern muss auf eine tägliche warme Mahlzeit verzichten (4,9 Prozent). 4,4 Prozent der Mädchen und Jungen haben keinen Platz, an dem sie ihre Hausaufgaben machen können. 3,7 Prozent der Kinder besitzen höchstens ein einziges Paar Schuhe. 3,1 Prozent der unter 16-Jährigen erhalten nie neue Kleider und drei Prozent leben in einem Haushalt ohne Internetanschluss. Besonders häufig entbehren Kinder in Deutschland wichtige Dinge, wenn die Eltern arbeitslos sind (42,2 %) oder wenn sie einen niedrigen Bildungsabschluss haben (35,6 %).

Zu geringe Verbesserungen bei Einkommensarmut

Das UNICEF-Forschungsinstitut in Florenz hat für die vorliegende Untersuchung die neuesten erhältlichen Daten ausgewertet – die meisten davon stammen allerdings aus dem Jahr 2009. Für den Vergleich der Einkommensarmut von Familien mit Kindern lagen Daten aus den EU-Staaten und sechs weiteren OECD-Ländern vor. Die meisten skandinavischen Länder, die Niederlande, Zypern und Slowenien schneiden mit Armutsraten unter sieben Prozent am besten ab, Schlusslicht sind Rumänien und die USA. Deutschland liegt bei diesem Vergleich im oberen Mittelfeld – auf Platz 13 von 35 Ländern. Seit der Vergleichsuntersuchung von 2005 hat sich   Deutschland zwar leicht verbessert. Anders als in den meisten Staaten sank hier der Anteil von Kindern, die in einkommensschwachen Haushalten aufwachsen, von 10,2 Prozent (2005) auf 8,5 Prozent (2009). In allen skandinavischen Ländern, den Niederlanden, Österreich, Tschechien, der Schweiz und in Irland sind Kinder jedoch nach wie vor – oft mit deutlichem Abstand – seltener arm. Ebenfalls besser da stehen Island (auch hier auf Platz 1), Zypern und Slowenien.

Ohne Kindergeld, Steuererleichterungen und Sozialleistungen hätte die Armutsrate in Deutschland unter Familien mit Kindern 2009 bei 17 Prozent gelegen – doppelt so viel wie die gemessenen 8,5 Prozent. Deutschland gehört so zu den – insgesamt nur zehn von 35 – untersuchten Staaten, in denen Kinderarmut seltener vorkommt als Armut unter Erwachsenen. Doch andere Länder tun deutlich mehr, um die materielle Situation von Kindern zu verbessern. Vergleicht man die Rate der Kinderarmut vor und nach staatlichen Maßnahmen, so verringern Irland, Ungarn und Großbritannien den Anteil von Kindern in Armut am deutlichsten.

UNICEF-Schlussfolgerungen

Kinderarmut ist ein wichtiger Faktor für kindliches Wohlbefinden, das in seiner Gesamtheit erstmals 2007 von UNICEF dokumentiert wurde. Dieser umfassende Ansatz soll in Folgeuntersuchungen wieder aufgegriffen werden. Aus der jetzt vorgelegten speziellen Studie zur materiellen Situation von Kindern ergeben sich aus Sicht von UNICEF folgende Konsequenzen:

Vorrang für Kinder auch in Zeiten der Finanzkrise: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Aufwendungen für Kinder und positiven Wirkungen einer solchen Politik. Die Haushaltskonsolidierungen im Zuge der Finanzkrise dürfen nicht dazu führen, dass die Interessen von Kindern hinten angestellt werden.

Nationale Agenda gegen Kinderarmut: In Deutschland fehlt ein umfassender Aktionsplan, um Kinderarmut zu senken. Die Bundesregierung sollte gemeinsam mit den Ländern genaue Ziele mit Zeitangaben festlegen, um Armut und Ausgrenzung Schritt für Schritt abzubauen. Dabei muss die gezielte Unterstützung für besonders benachteiligte Kinder oberste Priorität erhalten.

Politik für Kinder braucht genauere und aktuellere Daten und Fakten: Wirtschaftswachstum, Inflation oder Beschäftigungsraten werden in allen untersuchten Ländern vierteljährlich registriert. In Zukunft müssen diese Staaten sicherstellen, dass auch Daten zur Lage der Kinder und insbesondere zu Kinderarmut regelmäßig und in kurzen Abständen – mindestens einmal pro Jahr – erhoben werden: Daten zu relativer Einkommensarmut wie auch Daten zu direkten Entbehrungen, zur Dauer von Notlagen und zur Tiefe der Armut. Dabei sollten vor allem in großen Ländern wie Deutschland auch regionale Unterschiede berücksichtigt werden.

Die komplette Studie “Measuring child poverty – New league tables of child poverty in the world’s rich countries” in englischer Sprache sowie ausgewählte Grafiken und eine Zusammenfassung der Ergebnisse in deutscher Sprache finden Sie unter www.unicef.de

 

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