Etikettenkosmetik: Wie natürlich sind Natürliche Aromastoffe
(aid) – Unter welchen Bedingungen ein Lebensmittel als natürlich gilt, dazu hat wohl jeder seine ganz persönliche Meinung. Die Werbung mit der Natürlichkeit ist daher ein zweischneidiges Schwert: Sie verleiht nämlich oft selbst offensichtlich hochverarbeiteten Produkten zumindest einen Hauch von Ursprünglichkeit und damit auch „gefühlter“ Ehrlichkeit. Doch gerade bei hochverarbeiteten Lebensmitteln meldet sich bei vielen Verbrauchern schnell der Realitätssinn mit der Botschaft „das kann doch gar nicht sein“.
Was in Sachen Werbung und Kennzeichnung sein kann beziehungsweise darf, regeln hierzulande meist Gesetze. Was allerdings längst nicht heißt, dass die Sache damit klar ist, etwa bei der Kennzeichnung „natürlicher Aromen“. Die entsprechende EU-Verordnung ist seit Anfang 2011 in Kraft und wirft in der Branche immer wieder Fragen auf. Nach geltendem Recht darf etwa ein „natürliches Erdbeeraroma“ dann als solches bezeichnet werden, wenn dessen Aromabestandteile zu 95 Gewichtsprozenten auch aus der Erdbeerfrucht gewonnen wurden. Lediglich die restlichen fünf Prozent dürfen aus anderen natürlichen Quellen stammen – also aus beliebigen Produkten pflanzlichen, tierischen oder mikrobiologischen Ursprungs. Diese dürfen aber nur zur sensorischen Standardisierung zugesetzt sein. Wie aber diese gesetzliche Vorgabe in der Praxis umgesetzt werden muss, ist nicht ganz eindeutig.
Vielmehr bietet das Gesetz die Auslegungsmöglichkeit, auch solche Produkte als „natürliches Erdbeeraroma“ zu bezeichnen, die allenfalls – aus kritischer Verbrauchersicht – „einmal kurz an der Erdbeerfrucht vorbeigehuscht sind“. So besteht ein handelsüblicher Erdbeeraromaextrakt nicht allein aus den aromatisierenden Komponenten, sondern wird oft mit Wasser verdünnt – was sicherlich für seine Dosierung auch sinnvoll ist. Nur: Enthält etwa eine 100-fach verdünnte Erdbeerwasserphase lediglich zu 0,1 Gewichtsprozenten Aromen aus der Erdbeere und würde eben diese Mischung dann zur sensorischen Abrundung mit fünf Gewichtsprozenten anderer natürlicher Aromen gemischt, würde ein als „natürliches Erdbeeraroma“ bezeichnetes Produkt tatsächlich – rein mathematisch – zu 98 Gewichtsprozent aus erdbeerfremden Aromastoffen bestehen.
Das jedenfalls rechneten Lebensmittelchemiker eines Handelslabors aus Bad Kreuznach auf einer Arbeitstagung der Lebensmittelchemischen Gesellschaft in Bonn vor. Eine Rechnung, die offenbar auch die Stiftung Warentest bei ihrem Erdbeer-Joghurt-Test vom Juli 2011 heranzog, wie aus einem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 10. August 2011 hervorgeht.
Nun fordert das Gesetz, dass besagte erdbeerfremde Aromastoffe immerhin ebenfalls natürlichen Ursprungs sein müssen. Doch taugt nach geltendem Recht auch der in den Publikumsmedien bereits umstrittene Zedernholzölextrakt als Ausgangsmaterial solcher natürlicher Aromen. Ein Umstand, der vielen Verbrauchern seit jeher ein Dorn im Auge ist. Dies aber scheint dem europäischen Gesetzgeber nicht wichtig gewesen zu sein, als er im Jahr 2008 das Aromenrecht komplett überarbeitete und dabei betonte, es ginge auch darum, „dass die Verbraucher nicht über die bei der Herstellung natürlicher Aromen verwendeten Ausgangsstoffe getäuscht werden.“ War auch die vorhergehende Norm nicht der Weisheit letzter Schluss. Die nunmehr geltenden Regelungen zur „natürlich“-Kennzeichnung von Aromen werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten gebe. Bei vielen Herstellern letztlich ebenso wie bei Verbrauchern.
Dr. Christina Rempe, www.aid.de
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