Anlässlich des Nestlé-Zukunftsforums am 19. April 2012 in Berlin forderte die Verbraucherorganisation foodwatch Nestlé-Deutschland-Chef Gerhard Berssenbrügge in einem Offenen Brief auf, die eigenen Grundsätze endlich in die Tat umzusetzen: „Bieten Sie Kindern tatsächlich ,gesündere Nahrungsmittel- und Getränkeoptionen‘ an“, schrieben foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode und Campaignerin Anne Markwardt in Anspielung auf Nestlés Zielsetzung. „Beenden Sie jegliches Kindermarketing für Eiscreme, überzuckerte Frühstücksflocken und andere unausgewogene Produkte. Ziehen Sie sich aus den Schulen zurück und stellen Sie Ihre so genannten ,Bildungsinitiativen‘ ein. Leisten Sie einen Beitrag dazu, dass Schulen PR- und werbefreie Räume werden.“ Nestlé solle das „Zukunftsforum“ mit geladenen Gästen dazu nutzen, die Probleme der Kinderernährung zu thematisieren und sich zur eigenen Verantwortung zu bekennen.
foodwatch hat Nestlés Portfolio bei Kinderlebensmitteln und die Marketingaktivitäten für diese Produkte analysiert. Teilweise verstößt der Konzern ganz offen gegen die postulierten Grundsätze, teilweise umgeht er sie durch willkürliche Ausnahmereglungen:
Versprochen – gebrochen I: Unausgewogene Kinder-Produkte statt „gesündere Optionen“
Versprochen: Nestlé verpflichtet sich dem „Ziel“, „Tag für Tag (.) gesündere Nahrungsmittel und Getränkeoptionen bieten“ zu wollen.
Gebrochen: Tatsächlich sind 50 Prozent der Produkte, die Nestlé Deutschland gezielt an Kinder vermarktet oder als Kinderprodukte bewirbt, süße und unausgewogene Snacks. In der Ernährungspyramide des vom Bundesernährungsministerium geförderten aid-Infodienstes liegen sie im „roten“ Bereich an der Pyramidenspitze und sollten nur selten und in kleinen Mengen verzehrt werden. Bei Frühstücksflocken, die grundsätzlich ein ausgewogenes Frühstück darstellen könnten, fallen sogar alle gezielt an Kinder vermarkteten Nestlé-Produkte aufgrund ihres hohen Zuckeranteils zwischen 30,4 und 36,9 Prozent in den „roten“ Bereich.
Versprochen – gebrochen II: Marketing an Kinder statt ernstgemeinter Selbstbeschränkung
Versprochen: Nestlé schreibt: „Für die Werbung und anderen Marketingaktivitäten gegenüber Kindern gelten strenge Auflagen. Nestlé verzichtet auf jegliche direkte Werbung gegenüber Kindern unter sechs Jahren. Gegenüber Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren dürfen nur solche Produkte beworben werden, die für die Ernährung dieser Altersgruppe geeignet sind und eine positive Rolle in einer ausgewogenen Ernährung dieser Altersgruppe spielen können. Die entsprechenden Produkte werden einer Überprüfung anhand ernährungswissenschaftlicher Vorgaben unterworfen.“
Gebrochen: Nestlé-Frühstücksflocken für Kinder (CiniMinis, Cookie Crisp etc.) enthalten allesamt mehr als 30 Prozent Zucker – sie sind kein ausgewogenes Frühstück, sondern Süßigkeiten. Dennoch wirbt Nestlé für diese Produkte mit TV-Spots, die eindeutig Kinder unter 12 Jahren ansprechen und ködert die Kleinen auch im Netz. Auf der Internetseite der Kindersendung Toggo (Super RTL, Zielgruppe 7- bis 13-Jährige) zum Beispiel mit CiniMini-Spielen und Gewinnaktionen. Zudem ist „Marketing“ mehr als nur klassische Werbung in Fernsehen oder Zeitungen – nur darauf bezieht Nestlé jedoch die Selbstbeschränkung auch für klassische Süßigkeiten: Verpackungsgestaltung und Promotion-Aktionen an den Verkaufsstellen etwa für Schöller-Eiscreme oder Smarties sprechen gezielt junge Kinder an.
Versprochen – gebrochen III: Junkfood-Propaganda statt Gesundheitsförderung
Versprochen: „Wir verpflichten uns zu einer verantwortungsvollen (.) Kommunikation, die (.) eine gesündere Ernährung fördert“, heißt es in den Nestlé-Grundsätzen.
Gebrochen: Mit Spielzeugbeigaben wie „Hot Wheels“-Spielzeugautos und Prämien für Sammelpunkte schafft Nestlé besondere Anreize zum Kauf überzuckerter Frühstücksflocken, bei Kindern beliebte Comicfiguren (Donald Duck, Hello Kitty) locken als Werbefiguren für Schöller-Eis. Mit dieser Ansprache fördert Nestlé den Absatz von Süßigkeiten – aber keine „gesündere Ernährung“.
Versprochen – gebrochen IV: Grundschul-Programme statt Privatsphäre
Versprochen: „Wir wahren (.) die Privatsphäre der Konsumenten“, gibt Nestlé an – und propagiert den Verzicht auf Markenkommunikation in Grundschulen mit Ausnahmen für Produkte, die bestimmten Nährwert-Profilen entsprechen.
Gebrochen: Mit Wettbewerben wie „Unsere Klasse is(s)t klasse“ oder Bildungsinitiativen wie „Frühstückszeit – Lesezeit“ ist Nestlé auch in Grundschulen präsent. Dabei vermeidet der Konzern zwar direktes Produktmarketing, betreibt aber indirekt Werbung für die Marke Nestlé und sein im Segment der Kinderlebensmittel wenig ausgewogenes Portfolio.
Links:
Offener Brief von foodwatch an Nestlé-Deutschland-Chef Gerhard Berssenbrügge: http://bit.ly/J0WFsA
Mehr Informationen zum Thema: http://bit.ly/IXRbB4
So sind viele der untersuchten Früchte- und Getreideriegel entgegen der Werbung nichts weiter als normale Süßigkeiten. Denn trotz des Hinweises “ohne Zuckerzusatz”, enthalten sie tatsächlich bis zu 50 Prozent Zucker. Nach Beobachtungen der Verbraucherzentralen entwickeln Hersteller von Babynahrung zunehmend neue Produktreihen speziell für Kleinkinder zwischen ein bis drei Jahren.
Wie die Lebensmittelindustrie aus Kindern Junkfood-Junkies macht und Fehlernährung verursacht – foodwatch-Report und Marktcheck mit 1.500 Kinderprodukten vorgestelltUnausgewogene Produkte, perfides Marketing und überbordende Lobbyarbeit: Die Lebensmittelindustrie leistet keinen Beitrag zur ausgewogenen Ernährung von Kindern, sondern trägt massiv zur grassierenden Fehlernährung bei.
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