Bizarre MHD-Offensive bei Putzmitteln
Bewährtes Wissen beim Frühjahrsputz gerät ins Wanken. Die Revoluzzer heißen Edeka, Lidl, Marktkauf, Netto und Rossmann. Die Handelsketten drucken ein Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) auf eigens für sie produzierte Haushaltsreiniger und Waschmittel – verwirren so Verbraucher und verwundern die Fachwelt.
Der Einsatz ist beachtlich. Jedes Jahr schwemmen deutsche Haushalte laut Umweltbundesamt knapp 500.000 Tonnen Reinigungs- und Spülmittel durch den Abfluss. Den Markt teilen sich Marken-Produkte wie Pril und General sowie eigene Reinigungs-Linien der Handelsketten wie Priva von Netto.
Und obwohl Umweltschützer auf sparsamen Einsatz der Putzhelfer drängen, droht nun ein weiterer Anstieg der privaten Spüli-Verklappung. Der kuriose Grund: Für alle Haushalts-Reiniger ohne Biozide galt bislang die nahezu unbegrenzte Haltbarkeit als Plus für die Umwelt.
Jetzt aber gibt es scheinbar neue Erkenntnisse in der Welt von Zisch und Wisch. Vor „Einbußen der Leistung, des Duftes und der Farben“ warnt Lidl. Edeka treibt wiederum die Sorge um, dass „der Alkoholanteil bei Glasreinigern“ verfliegen, dass „die Wirkleistung“ auch bei anderen Produkten gemindert sein könne.
Die Ketten belassen es nicht bei Worten. Sie pappen mittlerweile millionenfach ein MHD auf die von ihnen produzierten Flaschen. Mit dem Ende der Haltbarkeit sei „nach etwa 30 Monaten bis 3 Jahren, je nach Produkt“ zu rechnen, schätzt Rossmann.
Seltsam nur: Mit ihrer Furcht vor dem Verfall lösen die MHD-Fans nur Kopfschütteln in der Branche aus. „Die Reinigungswirkung bleibt erhalten“, versichert Rewe stellvertretend für viele Konkurrenten. „Es ist nicht nötig und nicht gesetzlich erforderlich, Wasch- und Reinigungsmittel mit einem MHD zu versehen“, assistiert Procter & Gamble, Hersteller von Meister Proper und Lenor.
Gar Schlimmes befürchtet Bernd Glassl vom Industrieverband Körperpflege und Waschmittel: Kunden werden Produkte nach Ablauf des MHD einfach entsorgen, „obwohl sie noch ihre Funktion erfüllen. Dies wäre eine enorme Verschwendung von Ressourcen.“ Eine grausliche Vorstellung für jeden Umweltschützer.
Da mag es ein wenig trösten, dass die Idee der Neuerer bisweilen nicht mal im eigenen Konzern durchdringend wirkt. So druckt Lidl zwar fleißig ein MHD auf seine Glas- und Badreiniger, Kaufland dagegen, ebenfalls zum Handels-Imperium der Schwarz-Gruppe gehörig, verzichtet auf die Angabe.
Noch weniger Durchsetzungs-Wumm besitzen offenbar Edeka und Netto. Ihren Mitteln werde das MHD doch tatsächlich „vom Lieferanten vorgegeben“.
Das erstaunt. Auf Luhns-Flaschen steht z.B. eine Telefonnummer, die mittlerweile auch von irritierten Kunden gewählt wird. Die Auskunft eines Verantwortlichen für die Produktsicherheit des Unternehmens, welches im Auftrag von Edeka, Netto und Lidl Eigenmarken herstellt und anliefert ist glasklar: „Reiniger verderben nicht, die lassen sich auch in zehn Jahren noch benutzen, auch die aus dem Nachlass der Oma.“
Den Platz fürs MHD auf Verpackungen könne man „sinnvoller mit Hinweisen zur Produktsicherheit“ füllen. Doch da sei die Logistik der Putz-Rebellen vor. Seine Vermutung: Lager und Filiale nutzen das Mindesthaltbarkeitsdatum, um alte Flaschen im Regal nach vorne zu räumen.
„Weg mit dem MHD auf Putzmitteln!“, fordert deshalb die Verbraucherzentrale NRW. Ihr Appell gilt auch allen Putz-Aktiven. Wer jetzt im Frühjahr zu Tuch und Flasche greift, um Haus oder Wohnung von Grund auf zu reinigen, sollte sich durch den Aufdruck keinesfalls zum Wegwerfen verleiten lassen.
Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V.
www.vz-nrw.de
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