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Probleme, die nur Jungen haben

Das alte Klischee vom „starken Geschlecht“ hält sich hartnäckig: Söhne werden von den meisten Eltern als groß, kräftig und stark wahrgenommen, Töchter hält man eher für lieb, zart und zerbrechlich. Dabei erweisen sich gerade die Jungen in mancherlei Hinsicht als schwach und verletzlich. Wenn es um die Gesundheit geht, haben Mädchen die besseren Karten als Jungen, betont die in München beheimatete Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.    

„Bereits in ihrer frühen Kindheit erweisen sich Jungen anfälliger gegenüber Krankheiten als Mädchen“, sagt der Münchner Kinder- und Jugendarzt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Das zeigt sich schon in der Bewältigung der meisten Kinderkrankheiten.

Vom so genannten plötzlichen Kindstod SIDS sind Jungen doppelt so häufig betroffen wie Mädchen. Bei fast allen Infektionskrankheiten des Kindesalters herrscht eine ausgeprägte Knabenwendigkeit“.     Dafür gibt es viele Beispiele: An Mumps (Ziegenpeter) erkranken Jungen doppelt so häufig wie Mädchen und sie sind auch von den Komplikationen öfter betroffen. Auch an Pseudokrupp, einer charakteristischen Erkrankung der ersten drei Lebensjahre, leiden Jungen zwei- bis dreimal häufiger als Mädchen.

Als eine der wenigen Ausnahmen nennt die Stiftung Kindergesundheit den Keuchhusten: Er tritt bei Mädchen häufiger auf und verläuft bei ihnen auch schwerer als bei Jungen.    

Auch chronische Krankheiten kommen bei Jungen in fast allen Altersgruppen nahezu doppelt so häufig vor wie bei Mädchen, ergab erst kürzlich eine Expertise der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin und der Berliner Charité für das Bundesgesundheitsministerium. Außerdem sind Jungen im Vergleich zu ihren weiblichen Altersgenossen viermal so häufig von Stottern, Legasthenie, Bettnässen und Autismus betroffen. Es sind doppelt so viele Jungen wie Mädchen in einer psychosomatischen oder psychiatrischen Behandlung.    

Es gibt aber auch einige Störungen, die ausschließlich bei Jungen vorkommen, weil ihre männlichen Geschlechtsorgane davon betroffen sind. Die Stiftung Kindergesundheit beschreibt in ihrer aktuellen Stellungnahme die Wichtigsten davon:  

 

Hodenhochstand

Etwa vier Wochen vor der Geburt wandern die Hoden aus der Gegend der Nieren, wo sie gebildet werden, in den Hodensack. Als Antrieb für diese Wanderung werden männliche Hormone gebraucht. Sind sie nicht in ausreichender Menge vorhanden, können sich die Hoden nicht einnisten: Die Jungen kommen mit einem leeren oder halbleeren Hodensack zur Welt, die Hoden können nicht mit den Fingern ertastet werden. Bei der Geburt besteht bei rund drei Prozent der Jungen ein Hodenhochstand, besonders häufig bei Frühgeborenen.    

Der Pendelhoden ist die harmloseste Form dieser Fehlentwicklung. Die Hoden befinden sich meistens an ihrem Platz, ziehen sich aber gelegentlich für kurze Zeit in den Körper zurück. In der Pubertät nisten sie sich dann endgültig im Hodensack ein. Eine Therapie ist meist nicht nötig.    

Beim Gleithoden sitzen die Hoden am Ansatz des Hodensacks. Sie lassen sich mit der Hand ertasten und vorsichtig nach unten ziehen, gleiten danach aber sofort wieder in die alte Position zurück. Ebenso wie der Hodenhochstand, bei dem die Hoden vollkommen unsichtbar im Körperinneren versteckt ruhen, muss auch der Gleithoden behandelt werden.    

Professor Koletzko: „Im Körper sind die Hoden einer wesentlich höheren Temperatur ausgesetzt als im Hodensack. Diese Wärme schädigt die Spermien bildenden Zellen. Als Folge davon droht zwar keine Impotenz, wie häufig angenommen wird, aber eine spätere Zeugungsunfähigkeit. Viele der betroffenen  Jungen bleiben im Erwachsenenalter kinderlos. Auch ihr Risiko, später an Hodenkrebs zu erkranken, ist erhöht“.    

Eine Hormontherapie mit Spritzen oder Sprays kann die Hoden nachträglich auf den rechten Weg bringen. Die Wirksamkeit der Hormonbehandlung ist gut belegt: Mindestens einer von fünf säumigen Hoden begibt sich allein mit Hilfe der Hormone an seinen richtigen Platz. Als Begleiterscheinung der Behandlung tritt manchmal eine Art „Minipubertät“ auf: Der Penis wird größer, ein paar Schamhaare sprießen, das Kind kann aggressiv reagieren. Werden die Hormone nicht mehr gebraucht, verschwinden diese Nebenwirkungen wieder.    

Gelangen die Hoden durch die Therapie nicht endgültig in den Hodensack, müssen sie mit Hilfe einer Operation dorthin gebracht werden. Ganz gleich, ob mit Spray, Spritzen oder Skalpell: Bis zum zweiten Geburtstag des Jungen sollte die Behandlung erfolgreich abgeschlossen sein, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit.      

 

Hypospadie

Eines von tausend männlichen Neugeborenen kommt mit einer falsch ausgebildeten Harnröhre zur Welt. Damit ist die Hypospadie – so lautet der Fachausdruck – eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen bei Jungen.  

Die Öffnung, aus der der Urin tritt, sitzt in diesem Fall nicht vorn an der Eichel, sondern anderswo, meist an der Unterseite des Penis. Manchmal befindet sie sich direkt am Ansatz des Gliedes oder am Damm.   „Das tut dem Kind zwar nicht weh, dennoch ist eine Operation erforderlich, da auf Dauer die Fehlbildung zu einer Belastung für den Jungen wird“, sagt Professor Koletzko: „Er kann nicht, wie alle anderen, im hohen Bogen pinkeln und auch auf der Toilette geht oft etwas daneben. Das kann dem Selbstbewusstsein schaden und später auch sexuelle Hemmungen nach sich ziehen“.    

Als bester Zeitpunkt für den Eingriff – bei dem aus Hautteilen des Penis und des Hodensacks unter Vollnarkose die fehlenden Harnröhrenteile nachgebildet werden – gilt der neunte bis zwölfte Lebensmonat.      

 

Vorhautverengung

Von einer Phimose spricht man, wenn sich die Vorhaut nicht mühelos über die Eichel zurückstreifen lässt. „Dazu sollte man aber unbedingt wissen, dass Vorhaut und Eichel bei vielen Babys fest miteinander verklebt sind“, betont Professor Koletzko. „Sie lösen sich erst während der ersten Lebensjahre. Kann das Kind trotzdem problemlos Pipi machen, gibt es keinen Grund, einzugreifen! Diese harmlose Verengung muss nur behandelt werden, wenn Schwierigkeiten wie eine Entzündung – eine so genannte Balanitis – oder Schmerzen beim Urinieren auftreten“.    

Die Vorhaut darf niemals mit Gewalt zurückgeschoben werden! Dabei kann es zu kleinen Rissen kommen, die vernarben. Dann entsteht eine weitere Störung, die Narbenphimose: Das harte und unelastische Narbengewebe verengt die Vorhaut zusätzlich. Die narbige Phimose, die auch nach häufigen Entzündungen zurückbleiben kann, löst sich nicht von selbst und muss in jedem Fall operiert werden. Dabei wird ein ringförmiger Teil der Vorhaut entfernt. Der Eingriff wird in Allgemeinnarkose durchgeführt, entweder ambulant oder mit ein bis zwei Tagen Krankenhausaufenthalt.    

Bis zum Eintritt in die Schule sollte die Vorhaut komplett zurückzuziehen sein, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. Rasche Hilfe brauchen dagegen Jungen, die unter einer Paraphimose leiden: Sie entsteht, wenn man eine verengte Vorhaut gewaltsam zurück und nicht sofort wieder nach vorne schiebt. Die Vorhaut klemmt hinter der Eichel und schnürt sie ab. Es bildet sich eine Schwellung. Der betroffene Junge hat starke Schmerzen und muss sofort zum Arzt.

 

Hodenschmerzen

Starke Hodenschmerzen können auf vieles hindeuten: so auf eine Hoden- oder Nebenhodenentzündung oder auf einen Leistenbruch. Auf jeden Fall sollte man keine wertvolle Zeit mit Kühlen der Hoden vertun, sondern den Jungen sofort zum Arzt bringen, empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit. Die vor allem bei Jugendlichen häufigste Ursache von Hodenschmerzen ist die gefährliche Hodentorsion. Dabei dreht sich der Hoden um die eigene Achse, Blutgefäße werden abgeschnürt, die Blutversorgung ist unterbrochen.    

Die Torsion ist ein Notfall, der sofort operiert werden muss! Wird die Torsion nicht innerhalb von sechs Stunden entwirrt, sterben die spermienbildenden Zellen ab. Geschieht das beidseitig, wird der Junge niemals Kinder zeugen können. Verstreichen noch mehr Stunden, bedeutet das auch das Ende der Hormon produzierenden Zellen. Die Hoden müssen dann entfernt werden, der Junge muss lebenslang mit männlichen Hormonen behandelt werden.   

 

Geschwollene Hoden

Wenn der Hodensack eines kleinen Jungen ein- oder beidseitig geschwollen ist, steckt meist ein Bruch dahinter. Darunter versteht man bei Babys und Kleinkindern, dass aus der Embryonalentwicklung ein Verbindungsweg zwischen Bauchfell und Hoden übrig geblieben ist. Durch diesen Gang kann wässriges Sekret in den Hodensack fließen. Es können sich aber auch Darmschlingen in den Hodensack ausstülpen. Das eine ist der so genannte Wasserbruch, das andere ein Leistenbruch.    

Den Wasserbruch erkennt man meist daran, dass man ihn wegen seines klaren Inhalts sogar mit einer Taschenlampe durchleuchten kann. Er bildet sich von selbst zurück. Wenn nicht, muss die Verbindung zum Bauchraum operativ geschlossen werden. Das ist ambulant möglich, das Kind braucht jedoch eine Vollnarkose.    

Der Leistenbruch wird fast immer operiert, denn die Fehllage der Darmschlingen schadet nicht nur ihnen selbst, sie bedeutet eine Gefahr für die Hoden und kann sehr wehtun.      

 

Hohes Unfall-Risiko

Nach aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes erleiden über alle Altersgruppen hinweg Jungen bis zu viermal häufiger Stürze mit tödlichem Ausgang als Mädchen. Das Gleiche zeigt die Statistik für den Tod durch Ertrinken. Verbrennungen, Vergiftungen und Verkehrsunfälle führen bei Jungen drei- bis viermal häufiger zum Tod. Ein Grund für die erhöhte Verletzungsgefahr dürfte am steigenden Testosteron-Spiegel während der Pubertät liegen: Das Männerhormon führt zu einer erheblich höheren Bereitschaft zu risikofreudigem, aber auch aggressivem und antisozialem Verhalten. Der Anstieg des Testosteronspiegels in der Pubertät ist offenbar auch verantwortlich für die ausgeprägte Suche männlicher Jugendlicher nach Risiken und erregenden Erlebnissen, in der Fachsprache als „sensation seeking“ bezeichnet.  

„Viele Jungen sind auch als junge Erwachsene auf der ständigen Suche nach Spannung, Abwechslung und neuen Erlebnissen“, sagt Professor Koletzko: „Sie verletzen sich durch Unbekümmertheit oder schädigen sich durch Alkohol-, Nikotin- und Drogenkonsum. Ihre Gesundheit wird auch durch sexuell übertragbare Krankheiten stärker bedroht“.    

Die riskantere Lebensweise der Männer spiegelt sich auch in den statistischen Zahlen der Lebenserwartung wider. Innerhalb der letzten 130 Jahre hat sich die Kluft zwischen der Lebensdauer von Männern und Frauen sogar von 2 Jahren und acht Monaten auf 5 Jahre und einen Monat vergrößert. Vor 130 Jahren betrug die Lebenserwartung eines gerade geborenen Jungen 35 Jahre und sieben Monate, die einer weiblichen Neugeborenen 38 Jahre und fünf Monate. Heute darf ein neugeborenes Mädchen mit einer durchschnittlichen Lebensdauer von 82 Jahren und sieben Monaten rechnen, während einem neugeborenen Knaben lediglich 77 Jahre und sechs Monate beschieden sind.  

Stiftung Kindergesundheit
www.kindergesundheit.de

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