Berlin, den 30.6.2011. Alltägliche Gewalt gegen Kinder wird nach Einschätzung von UNICEF bis heute weltweit unterschätzt und verdrängt. Nur in 29 von rund 200 Staaten ist sie vollständig verboten. Auch in Ländern wie Deutschland bleibt sie eine traurige Realität für viele Kinder – obwohl das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung gesetzlich festgeschrieben ist.
„Kinder müssen stark gemacht werden gegen Gewalt. Das bedeutet, dass wir sie achten, ihnen zuhören und sie ernst nehmen“, erklärte Bettina Wulff, Schirmherrin von UNICEF Deutschland. „Dies gilt umso mehr, wenn ein Verdacht besteht, dass ein Kind Opfer von Vernachlässigung, Misshandlungen oder Missbrauch sein könnte.“
„Wir müssen die Augen öffnen für alltägliche Gewalt“, sagte Dr. Jürgen Heraeus, Vorsitzender von UNICEF Deutschland. „Die große Resonanz auf die zentrale Anlaufstelle zu sexuellem Missbrauch zeigt, dass wir weiter gegen die Tabuisierung kämpfen müssen. Deshalb sollte die Arbeit der unabhängigen Beauftragten Christine Bergmann fortgesetzt und zu einer echten Ombudsfunktion für Kinderrechte weiterentwickelt werden. Gleichzeitig müssen Beratungs- und Hilfsangebote auf lokaler Ebene gestärkt und ausgebaut werden.“
Gewalt betrifft Kinder aus allen gesellschaftlichen Gruppen. Allerdings leiden Kinder aus ohnehin benachteiligten Familien am häufigsten darunter.
Nach Schätzungen des Europarats wird eines von fünf in Europa lebenden Kindern in irgendeiner Form Opfer sexueller Gewalt. Seit Herbst 2010 haben in Deutschland Tausende Betroffene bei der telefonischen Anlaufstelle des Runden Tisches zu Missbrauch und sexueller Ausbeutung Rat und Hilfe gesucht.
Untersuchungen von UNICEF in 35 Entwicklungs- und Schwellenländern ergaben, dass drei von vier Kindern unter 14 Jahren in ihrer Familie gewaltsamen Bestrafungen ausgesetzt sind. Nach Schätzungen des Deutschen Kinderschutzbundes erziehen rund 13 Prozent der deutschen Eltern gewaltbelastet.
Todesfälle durch Misshandlungen und Vernachlässigung sind zum Glück seltene extreme Ereignisse. Trotzdem wurden nach Angaben des Bundeskriminalamts 2010 allein in Deutschland 183 Kinder Opfer von Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge oder starben, weil die Aufsichtspflicht grob vernachlässigt wurde.
„Kinder sind dann am besten geschützt, wenn ihr Umfeld ihre Rechte respektiert und fördert“, sagte Marta Santos Pais, UN-Sonderbeauftragte zu Gewalt gegen Kinder. „Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass leistungsfähige Gesetze und eine gut abgestimmte und ausreichend finanzierte nationale Strategie der wirksamste Weg zur Umsetzung der Kinderrechte sind. Auch die Forschung muss verstärkt werden, um neuen Gewaltrisiken wie zum Beispiel durch die neuen Medien und das Internet besser begegnen zu können.“
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Das Schweigen brechen
Die am wenigsten sichtbare und am wenigsten beachtete Form der Gewalt gegen Kinder ist sexueller Missbrauch. Nur ein geringer Anteil solcher Taten wird aufgedeckt. Kinder werden zum Objekt sexueller Handlungen oder müssen diese an anderen vornehmen. Sie werden zur Prostitution gezwungen oder für pornografische Aufnahmen missbraucht. Kinder werden auch genötigt, sexuellem Missbrauch oder sexuellen Handlungen zuzusehen. Im Internet werden sie mit sexuellen Absichten kontaktiert.
Die größte Gefahr geht dabei von Personen aus, zu denen Kinder ein Vertrauensverhältnis haben oder die für sie eine Autorität verkörpern – vor allem Verwandte, Nachbarn, Schulbedienstete oder Betreuungspersonen. In 75 bis 80 Prozent der Fälle kennen die Kinder die Täter. Schätzungsweise 20 bis 50 Prozent der Taten werden von Minderjährigen begangen, die mit ihrem Verhalten andere Kinder in sexueller Hinsicht verletzen. Die überwältigende Mehrheit stammt selbst aus Problemfamilien.
Bis heute gibt es in den EU-Staaten Gesetzeslücken. Soziale Dienste und Gesundheitseinrichtungen stimmen sich nicht genügend ab. Vielfach sind Mitarbeiter nur unzureichend auf den Umgang mit diesem Problem vorbereitet. Um das Risiko der Straflosigkeit zu verringern, ist ein umfassender und kohärenter rechtlicher Rahmen erforderlich. Gleichzeitig müssen die kindlichen Opfer besonders geschützt werden.
Neue Formen der Gewalt im Internet
Der UNICEF-Report 2011 macht auch auf neue Gewaltrisiken aufmerksam. So ist eine deutliche Zunahme aggressiver Verhaltensweisen unter Kindern und Jugendlichen in sozialen Netzwerken und im Internet zu verzeichnen. Mobbing beginnt zwar meist noch „offline“ auf dem Schulhof. Doch fünf Prozent der europäischen Heranwachsenden berichten inzwischen, dass sie auch online oder über das Mobiltelefon gemobbt wurden. Der Anteil der Betroffenen, die direkt Opfer von „Cyberbullying“ wurden, zieht weitere Kreise. UNICEF ruft dazu auf, Kinder in Schulen und Jugendgruppen hierauf vorzubereiten.
Ausführliche Informationen zum Thema Gewalt gibt es auf der Sonderseite zum UNICEF-Report 2011 <http://www.unicef.de/gewalt> – Der Bericht ist im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen.
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